Idensity®

Der Begriff Idensity® ist ein konzeptionelles Werkzeug für die Erforschung und Entwicklung von Raum im Informations- Kommunikationszeitalter.

Um die Verschmelzungen, die Überlagerungen und die Wechselwirkungen zwischen „virtuellen“ Medien und „realen“ architektonischen und urbanen Räumen zu verstehen, ersetzt der neue Begriff Idensity® die veralteten herkömmlichen Begriffe der räumlichen Unterscheidung.

Konzept & Forschung Idensity® © Hybrid Space Lab, Berlin, 5. Mai 2011

Density
+

Identity
=
Idensity®

In der widersprüchlichen Dynamik unserer heutigen städtischen Umwelt mit ihren gegensätzlichen Tendenzen zur Konzentration wie zur Dezentralisation, zur funktionalen Vermischung wie zur Segregation, verlieren die traditionellen Begriffe räumlicher Unterscheidungsmerkmale ihre Gültigkeit. In dieser zersplitterten städtischen Landschaft sind Kategorien wie “Zentrum” im Gegensatz zur “Peripherie”, “Landschaft” im Gegensatz zur “Stadt” sowie “Funktionstrennung” in Wohnen, Arbeiten und Erholen gegenstandslos geworden.

Die Polarität von privatem (Wohn-) und öffentlichem Bereich ist aufgehoben. Das öffentliche und das private (Wohn-) Umfeld vermischen und verwischen sich zunehmend durch die Verschmelzung des medialen und des “realen” Raumes, zum Beispiel in den öffentlich übertragenen Privaträumen von “Reality-TV“ Sendungen, durch die Medienpräsenz der Kriege, die in die Friedlichkeit unserer privaten Wohnräume eindringen, sowie im privaten (Kommunikations-) Raum, den der Benutzer des Mobiltelefons mitten im öffentlichen städtischen Umfelds um sich erzeugt.

Um diese Verschmelzung, diese Überlagerung und Interaktion von medialem und “realem” städtischem Raum zu erfassen, wird der neue Begriff „Idensity™” eingeführt. „Idensity™” unterscheidet nicht zwischen Informations-/Kommunikations-Netzwerken und der städtischen gebauten Umwelt und bietet ein integriertes Modell zum Umgang mit dem hybriden (medialen und “realen”) Raum im Informations- und Kommunikationszeitalter.

Es handelt sich hierbei um einen zusammengesetzten Begriff, um eine Kombination des Wortes “density” (Dichte) realer (städtischer) und “virtueller” (medialer) Kommunikationsbereiche (Dichte der Verbindungen) und des Wortes “Identität”.

Er kann angewendet werden, um Stadtentwicklungsprozesse zu steuern. „Idensity™” integriert das Konzept der “Dichte” (Dichte der Verbindungen, Dichte physischer und digitaler Infrastruktur, Dichte von Kommunikationsräumen etc.) mit dem Konzept der Identität (“Stadtimage”-Kampagnen, “urban branding”). Daher kann er zum Beispiel beitragen zum Verständnis von Prozessen der Trennung und der räumlichen Segregation zwischen städtischen Teilbereichen, die Eigenschaften von ‚globaler’ Qualität besitzen und die als Bestandteil eines Netzwerkes ‚globaler’ Urbanität betrachtet werden können, sowie anderen, manchmal in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden (Teilen von) Städten, die an Bedeutung verlieren und von den globalen mentalen Landkarten verschwinden.

Es handelt sich nicht um eine bloße Addition der beiden Begriffe “Dichte” und “Identität”, vielmehr um eine Verschmelzung, die “Identität” umkehrt und mit Kommunikation verbindet: indem “Identität” durch Vernetzung definiert wird.

Der Begriff bezieht sich daher nicht nur auf die “eindeutige Identität, die Besonderheit, die Individualität von traditionellen Plätzen oder Orten“ (wie Zentren und Monumenten), sondern beschreibt auch ein Gebiet sich überlagernder (Kommunikations-) Räume: den immer gleichen Bereich von Kettenläden, den symbolischen Bereich der traditionellen Gebäude, in denen die Geschäfte liegen, den medialen Bereich des Teleshopping, den Kommunikationsbereich der globalen Mobilfunktechnologie…

Dieses Modell kann den weiten Bereich von zukünftigen (Kommunikations-) Räumen umfassen – vom “Tele-feeder-Gerät im Waschsalon ”, der öfffentlichen Infrastruktur für Teleshopping, Telelearning oder Tele-Demokratie, bis hin zu neuen “Klub”-Einrichtungen, die Raum für hybride (mediale und “reale” räumliche) Events auf gesamtstädtischer Ebene bieten, oder dem kombinierten medialen und zugleich “realen” Raum Ihrer Bank, die sich bei Nutzung des Telebanking mit der corporate Identity ihrer “realen” Architektur präsentiert und die im repräsentativen Eingang ihrer Hauptverwaltung einen hochwertig gestalteten architektonischen Bereich mit den medialen Räumen ihrer vernetzten Präsenz in Form von Monitoren, Projektionen etc. verbindet. (Besuchen Sie Ihre Bank!)

Der neue Begriff dient also dazu, die Kommunikationsräume der aufkommenden “Netzwerk-Gesellschaft” zu beschreiben und zu analysieren – einer Gesellschaft, die weniger auf den traditionellen, relativ statischen Strukturen der Zugehörigkeit zur Familie, zum Betrieb oder zum Staat beruht als vielmehr auf flexiblen, dynamischen, sich ständig wandelnden Netzwerken des Austauschs und der Kommunikation. Er verlagert den Diskurs um die Stadt von der morphologischen Ebene einer formalen Beschreibung der Netzwerk-Muster der “Netzwerk-Stadt” auf ein stärker integriertes strukturelles Verständnis der vernetzten Räume der sozialen Kommunikation.

Inversion
of
Privacy

Idensity®
of the
Urbanite

Nach dem traditionellen (bürgerlichen) Konzept der Privatsphäre basiert die Identität auf der privaten Individualität. Es ist jedoch wichtig, sich der Historizität eines solchen Konzepts bewusst zu sein. Wie John Lucaks schreibt, sind „Häuslichkeit, Privatsphäre, Komfort, das Konzept des Heims und der Familie […] im wahrsten Sinne des Wortes die wichtigsten Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters“[1] Der Begriff „privy chamber“ tauchte in der englischen Literatur des 17. Jahrhunderts zur gleichen Zeit auf, als neue private physische Räume entstanden, als die Einführung des Korridors in englischen Innenräumen des 17. Der Ausdruck „privy chamber“ wird aber auch metaphorisch für die Seele verwendet. Die „private Kammer“ ist der Behälter der (privaten) Identität.

Im letzten Jahr des 20. Jahrhunderts wurde „Big Brother“, die berüchtigte Reality-Soap (mit ihrem vernetzten Container) in Holland gestartet und auf der ganzen Welt geklont und kopiert. „Big Brother“ schockierte die Menschen zutiefst und wurde zu einem Hauptthema in den Medien, von populären Talkshows bis hin zu wissenschaftlichen Zeitschriften („Is this the End of Our Civilization?“).

Das Schockierende an „Big Brother“ war die Ausstrahlung (die Umkehrung) der Privatsphäre. Die Teilnehmer der Soap definierten ihre Identität nicht im „stillen Kämmerlein“, sondern in der öffentlichen, vernetzten Umgebung des Sendecontainers. Die ENDEMOL-Soap war ein interaktives Umfeld (das Fernsehpublikum hatte demokratische Rechte und beeinflusste die Folgen). Die Gefangenen in den Containern/Netzwerken erlebten ihre Existenz in der „Real Virtuality“[2] ihrer Medienpräsenz. Sie erlebten ihre Identität innerhalb der „Idensitäten“ der (Kommunikations-)Kanäle.

Im selben Jahr, 1999, wurde in Holland eine große Kampagne gestartet. Auf den meisten Plakatwänden in größeren und kleineren Städten erklärten Männer und Frauen, Jugendliche und ältere Menschen – kurz gesagt, der durchschnittliche Niederländer – „ik ben Ben“. Dies war nicht der massenhafte Ausdruck einer Identitätskrise, sondern eine Werbekampagne für die Einführung des neuen GSM-Unternehmens namens „Ben“, die sich an die breite Öffentlichkeit richtete. Der Slogan basierte auf einem einfachen Wortspiel, wobei „ben“ auf Niederländisch „ich bin“ bedeutet und „Ben“ sowohl ein gewöhnlicher Männername als auch der Name des Mobilfunkunternehmens ist.

Aber was diesen Slogan zu einem so interessanten Ausdruck unserer Zeit macht, ist seine Definition von Identität (ich bin: Ik ben) als Konnektivität („Ben“ ist der Netzbetreiber), wobei die „idensity®“ des Städters als Dichte der (überlagerten medialen/“realen“) Kommunikationsräume definiert wird.

Im Februar 2000 wurde sie angekündigt: „Ik Ben een jaar“.

Dieser Werbeslogan drückt auf sehr direkte Weise nichts anderes aus als eine neue Auffassung von Subjektivität und Identität. Villém Flusser, der Philosoph der Kommunikation, würde schreiben:

„Das neue Bild des Menschen sieht in etwa so aus: Wir müssen uns ein Netz zwischenmenschlicher Beziehungen vorstellen, ein ‚Feld intersubjektiver Beziehungen‘. Die Stränge dieses Netzes muss man sich als Kanäle vorstellen, durch die Informationen (Ideen, Gefühle, Absichten, Wissen usw.) fließen. Diese Fäden werden vorübergehend verknotet und bilden das, was wir „menschliche Subjekte“ nennen. Die Gesamtheit der Fäden bildet die konkrete Lebenssphäre, und die Knoten sind abstrakte Extrapolationen. […] Die Dichte der Netze zwischenmenschlicher Beziehungen ist von Ort zu Ort innerhalb des Netzes unterschiedlich. Je größer die Dichte, desto ‚konkreter‘ sind die Beziehungen. Diese dichten Punkte bilden Wellentäler im Feld […] Die Wellentäler üben eine ‚anziehende‘ Kraft auf das umgebende Feld aus (sie ziehen es in ihr Gravitationsfeld), so dass immer mehr zwischenmenschliche Beziehungen von der Peripherie angezogen werden. […] Diese Wellentäler sollen ‚Städte‘ genannt werden.“ [3]

Der Begriff „idensity®“ ist ein konzeptionelles Instrument zur Erforschung und Entwicklung des (sozialen) Raums im Informations-/Kommunikationszeitalter.

[1] Lucaks, John, „The Bourgeois Interior“, in: American Scholar, Vol. 39, No. 4, Herbst 1970, S. 620-21.
[2] Castells, Manuel (1996) The Rise of the Network Society, Massachusetts: Blackwell Publishers, S. 327-375.
[3] Flusser, Vilém, „Die Stadt als Wellental in der Bilderflut“, in: Flusser, Vilém, Nachgeschichten. Essays, Vorträge, Glossen; Düsseldorf 1990; englische Übersetzung zum Teil von Stephen Cox („The City as a Wave-trough in the Flood of Images“, in ARCH+ 111, März 1992, S. 84) und zum Teil von Fiona Greenwood.

Idensity®

=

Identity
of the
Private
+
Density
of the
Public

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