Die Aufgabenstellungen der die Umwelt entwickelnden und gestaltenden Berufe verÀndern sich.
Ein halbes Jahrhundert Frieden in Westeuropa sowie die beschleunigte Globalisierung der Bewegungen der Menschen und des Kapitals haben das Arbeitsfeld fĂŒr Architekten und Planer erweitert.
Das SelbstverstÀndnis von Deutschlands Architekten, das aus der Schnellbau-Wachstumsepoche der Nachkriegszeit stammt, wird zurzeit in Frage gestellt.
Es geht heute nicht allein um das Bereitstellen von Baulichkeiten, sondern immer mehr um das Begleiten und Steuern der Wachstums-, Transformations- und Recyclingszyklen der Stadtlandschaft.
Veröffentlichung Architektur der Sukzession @ Deutsche Bauzeitung, Deutschland, 5. Januar 2005

Prozesse
entwerfen
&
Systeme
entwickeln
Bei diesen Prozessen – in diesem Kontext gehört der Begriff der âschrumpfendenâ Stadt – handelt es sich nicht nur um eine kurze Phase einer gedĂ€mpften Wachstumsdynamik, die durch den Zeitgeist zelebriert und durch VerlustĂ€ngste dĂ€monisiert wird. Diese Entwicklungen stehen den meisten europĂ€ischen Nachbarn noch bevor; in Deutschland wird jedoch am intensivsten ĂŒber diese Themen gearbeitet und reflektiert. Und da gilt es, aus dem Problem eine Herausforderung zu machen und die fĂŒr die BewĂ€ltigung der Zukunftsaufgaben wichtige Expertise im Umgang mit den Zyklen der Stadtlandschaft zu entwickeln.
Es ist notwendig, die Wachstumsfixierungen abzuwerfen, um die Zyklen von Baustruktur und Nutzung, die in die KreislÀufe der Stadtlandschaft eingebettet sind, steuern zu können. Nur dann können die diesen Prozessen innewohnenden Chancen genutzt werden, um einem eventuellen Weniger an Bebauung nicht unbedingt ein Weniger an LebensqualitÀt folgen zu lassen.
Da hilft es auch, die Baufixierung abzulegen und einen ganzheitlichen Blick zu entwickeln, der den gesamten Raum der Stadtlandschaft berĂŒcksichtigt, der nicht nur die bebauten, sondern auch die unbebauten FlĂ€chen, nicht nur die physisch-architektonischen, sondern auch die digital-medialen RĂ€ume in die Transformationsprozesse des StĂ€dtischen einbezieht. In diesem Artikel wird auf die Beziehungen zwischen den bebauten und den nicht bebauten RĂ€umen der Stadtlandschaft, den grĂŒnen Feldern und den medialen Netzwerken des Urbanen, eingegangen.
Es ist erforderlich, VerstĂ€ndnis fĂŒr diese symbiotischen Interdependenzen zu aufzubringen, um den dynamischen Raum der Stadtlandschaft in seinen fortwĂ€hrenden ineinander greifenden Transformationsprozessen mitlenken zu können. Das Planen von Objekten wird somit zum Entwerfen von Prozessen, zum Entwickeln von Systemen.
Sukzessionsfelder
Prozesse
Der Blick auf die Entwicklungsprozesse unserer Umwelt verĂ€ndert sich automatisch, wenn die Zweiteilung in âStadtâ und âLandschaftâ zugunsten einer ganzheitlichen Betrachtung der Stadtlandschaft aufgehoben wird. Wenn die FlĂ€chen, die durch den Abriss von Bebauung im Laufe der Stadtumbauprozesse entstehen, nicht nur als âLöcherâ und DiskontinuitĂ€ten einer âperforiertenâ Stadt gesehen werden, sondern auch als Potenziale einer landschaftsbasierten Stadtentwicklung.
Diese im Prozess des Stadtum- und -rĂŒckbaus entstehenden FreirĂ€ume in der Stadt können zu vergleichsweise geringen Kosten zur Qualifizierung bestehender stĂ€dtischer Strukturen eingesetzt werden. Solche Freiraumnutzungen eignen sich als temporĂ€re Zwischenlösungen, die die VerfĂŒgbarkeit von FlĂ€chen fĂŒr eventuell in der Zukunft aufkommenden Bedarf nicht blockieren und somit nicht zum Hindernis fĂŒr die langfristige Dynamik und HandlungsfĂ€higkeit der Stadt werden.
Vor dem Hintergrund der Finanznot der Kommunen und der damit einhergehenden Probleme bei der Finanzierung der Pflege und Unterhaltungskosten durch die öffentliche Hand werden seitens der Schwesterdisziplin der Architektur, der Landschaftsarchitektur, sowie des aufkommenden Arbeitsbereichs der landschaftsbasierten Stadtentwicklung oder âLandscape Urbanismâ kostenreduzierte AnsĂ€tze fĂŒr diese neu entstehenden urbanen GrĂŒnrĂ€ume gesucht. SukzessionsgrĂŒn als âurbane Wildnisâ erscheint dabei als eine (Zwischen-)Lösung, fĂŒr die neu entstehenden Brachen in der Stadt.
Zur Entwicklung von urbanen FreirĂ€umen, die das âstĂ€dtebauliche und sozialrĂ€umliche Kontinuum aufrecht erhaltenâ, werden auch Lösungen gesucht, die zwar kostengĂŒnstig, aber auch âgepflegterâ sind. Gestaltete land- und forstwirtschaftlich genutzte FlĂ€chen der âurbanen Landwirtschaftâ, deren Ertrag die Pflege- und Unterhaltungskosten decken kann, werden zum Beispiel als Energieproduzenten eingesetzt (Energiepflanzen fĂŒr Biomasse zur Energieerzeugung).
Beide hier kurz erlĂ€uterten AnsĂ€tze zum Umgang mit stĂ€dtischen Brachen, die âurbane Wildnisâ und die âurbane Landwirtschaftâ, sind kreislauf- und prozessorientiert. Dem symbiotischen VerhĂ€ltnis zwischen âurbaner Agrikulturâ als Energieproduzentin und (Energie konsumierender) urbaner Kultur liegt ein Kreislaufdenken zugrunde. Nicht nur stĂ€dtische FreiflĂ€chen werden entworfen, sondern der ganze Lebenszyklus der Anlagen ist Gegenstand des Entwurfs. Die Unterhaltungskosten werden berĂŒcksichtigt und die spĂ€tere Umnutzung der FlĂ€chen ist ins Konzept integriert. Es sind (Zwischen-)Lösungen, die Phasen der urbanen Sukzessionszyklen im dynamischen immerwĂ€hrenden Prozess der Transformation der Stadtlandschaft markieren.
Sicherlich liegt diese Prozessorientiertheit der Landschaftsarchitektur nahe, da sie mit wachsender und vergehender lebender Materie zu tun hat. Aber auch in der Architektur sind mehrere AnsĂ€tze zu finden, in denen KreislĂ€ufe berĂŒcksichtigt werden. Dabei geht es nicht nur um EnergiekreislĂ€ufe (GebĂ€ude als Energiewandler) oder MaterialkreislĂ€ufe (Materialrecycling und Recycling-Materialien) sondern auch um Lebenszyklen ganzer GebĂ€ude (bis zur âDemontagefabrikâ). Das Augenmerk der Architektur verlagert sich von der Fertigstellung neuer Objekte auf den Umgang mit der vorhandenen Substanz. Umnutzung, Bauerhaltung, Bauerneuerung und Facility Management wurden lĂ€ngst als Zukunftsfelder erkannt.

Urbane
Netzwerke
Systeme
Oft geht es um das Entwickeln intelligenter Lösungen fĂŒr die Mehrfachnutzung von Baulichkeiten. Erfindungsreiche EntwĂŒrfe fĂŒr teilweise knifflige Kombinationen von unterschiedlichen Nutzungen unter einem alten Dach sind zunehmend gefragt; und dies auch, wenn die Bausubstanz in reichlichem MaĂe vorhanden ist, da Bauunterhaltung der kritische Kostenfaktor ist.Â
Zur Bereitstellung baulicher âHardware“ kommt eine neue Aufgabe hinzu, die der (Software-)Programmierung des Gebauten. Solche Mehrfachnutzungen (fĂŒr unterschiedliche Tages- und Wochenzeiten) von GebĂ€uden können durch digitale Technologien unterstĂŒtzt werden. GebĂ€ude können mithilfe von soft tools âprogrammiert“ werden. Diese elektronischen Zugangskontrollen der constant identification werden lĂ€ngst bei vielen Hotels sowie BĂŒro- und BetriebsgebĂ€uden eingesetzt. Sicherheits-(Kontroll-)technik ist heute eine Wachstumsbranche.
UnterstĂŒtzt durch die Allgegenwart digitaler Netzwerke, schreiten zurzeit die âDeterritorialisierungs“-Prozesse der Loslösung von Nutzungen von baulichen Rahmen und örtlicher Fixierungen fort. Digitale Technologien und mediale RĂ€ume saugen teilweise Funktionen aus den realen/architektonisch-urbanen RĂ€umen ab. Der Buchversand im Internet treibt den Nachbarschaftsbuchladen in den Bankrott.
DafĂŒr aber entdecken die groĂen BuchhĂ€user zunehmend die MarktlĂŒcke des (Buch-)Eventspace. Die Telearbeit, sei es nur an einigen Tagen der Woche, hat Konsequenzen nicht nur fĂŒr das Raumangebot, sondern auch fĂŒr die Struktur, die QualitĂ€ten und die Standortwahl von BĂŒrogebĂ€uden, die jetzt immer stĂ€rker Raum fĂŒr die kommunikativen Elemente des Arbeitsalltags bieten sollen. Dies modifiziert die Raum-Hierarchien und verĂ€ndert die QualitĂ€ten der gebauten Umwelt. Es verringert auch den Bedarf an gebautem Raum.
Und trotzdem wird im Umgang mit den Problemen der âSchrumpfungâ der Ausbau von medialen RĂ€umen fĂŒr die Ăbernahme von Funktionen aus dem physisch-urbanen Raum vorgeschlagen: âSchrumpfen kann man lernen â zum Beispiel durch Reisen nach Skandinavien.â schreibt Elisabeth Niejahr in der âZEITâ und fĂ€hrt fort: âDer brandenburgische MinisterprĂ€sident Matthias Platzcek besuchte im Mai 2004 das dĂŒnn besiedelte Finnland, wo schon heute Jugendliche aus entlegenen Dörfern per Videounterricht mit ihren Lehrern kommunizieren und KrankenhĂ€user auf dem Land sich bei schwierigen Eingriffen per Video von Experten in Helsinki helfen lassen.â[1]
Mediale Dienste werden als Lösung fĂŒr Infrastruktureinrichtungen gesehen, die nicht ausgelastet sind und daher nicht mehr unterhalten werden können. Der Einsatz mobiler Dienste gilt als Mittel, um der NetzausdĂŒnnung der sozialen Infrastruktur entgegenzuarbeiten und somit auch fĂŒr die immobileren Teile der Bevölkerung, Senioren und Ă€rmere Menschen, in schrumpfenden Regionen LebensqualitĂ€t zu gewĂ€hrleisten. In dem soeben zitierten Artikel wird der FilmvorfĂŒhrer, der ĂŒber die Dörfer zieht, und der Rufbus, der die einzelnen FahrgĂ€ste an den Ort ihrer Wahl bringt, erwĂ€hnt. Solche Modelle kombinierter mobiler und medialer Dienstleistungen werden in mehreren Regionen im Westen und Osten der Republik getestet.
Diese können sich gleichzeitig einfachster Low-Tech-Mittel bedienen und aktuelle Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologie berĂŒcksichtigen. Zurzeit werden die Schnittstellen, ĂŒber die die Bewohner der reicheren HĂ€lfte der Welt stĂ€ndig online verbunden sein können, immer kleiner und somit mobiler, zum Beispiel mithilfe der radio-frequency identification (RFID)-Chips, die ĂŒberall, von Hemden und Joghurtbechern bis zu Haustieren, im wortwörtlichen Sinne einsetzbar sind.
Gleichzeitig wird die Immobilie zur Schnittstelle. Das Haus entwickelt sich zu einer âintelligentenâ Netzwerk-Umgebung, Ă€hnlich dem Auto, dem connected car, das nicht nur ein Projekt von Microsoft, sondern lĂ€ngst schon RealitĂ€t ist. Bei den heutigen ambient intelligence- und domotica-Anwendungen, dem sogenannten digital home, e-home oder smart home geht es erst einmal um digitale Musik-, Video- und Fernsehunterhaltung (digital entertainment). Trotzdem stand die letzte Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas voll mit Haus-Prototypen, in denen Heizung, KĂŒhlschrank und spezielle Kontrollmodulen der Tele-Pflege und der Tele-Medikation fĂŒr Senioren sowie Pflegerobots kabellos mit dem Computer oder dem Personal Digital Assistant (PDA; auf Deutsch âPersönlicher Digitaler Assistentâ) kommunizieren können.
Sicherlich gilt es bei der GebĂ€udeplanung, diese im Wandel begriffenen Nutzungen des Raumes und die somit sich verĂ€ndernden GebĂ€udetypologien zu berĂŒcksichtigen: das gröĂere Haus, das auch als Heimarbeitsplatz dient, und das in der vom Nutzungsdruck befreiten, âentspanntenâ Stadt Wirklichkeit werden kann, das BĂŒrogebĂ€ude, das vor allem fĂŒr jours-fixes benutzt wird und daher vor allem kommunikativen und reprĂ€sentativen Anforderungen zu genĂŒgen hat, der zum Event-Raum umfunktionierte Buchladen oder der neu entstehende Bedarf nach kleinmaĂstĂ€blichen Distributionszentren fĂŒr Teleshopping und auf Stundenbasis vermietbaren KonferenzrĂ€umen mitten im Wohngebiet.
Aber darĂŒber hinaus geht es darum, die HĂ€user als Schnittstellen eines dynamisierten Raumes zu begreifen. Es gilt, sich nicht nur mit dem Entwurf des Bauobjektes zu beschĂ€ftigen, sondern sich dem âEntwickeln von Systemen“ in der Ganzheit ihrer immobilen, mobilen und Netzwerk-Elemente zu widmen. Das heiĂt, nicht nur GehĂ€use zu entwerfen, sondern auch ihre wechselnden Nutzungen und Umnutzungen mitzuprogrammieren. Eine solche prozessorientierte Betrachtung berĂŒcksichtigt nicht nur die Fertigung des Objekts, sondern auch seine KreislĂ€ufe, seinen Tages-, Wochen- und Lebenszyklus bis hin zu seinem Recycling.
Dies bedeutet aber nicht unbedingt zugleich ein Weniger an Architektur. Die von ihren âentterritorialisiertenâ Nutzungen emanzipierten und mehrfach nutzbaren RĂ€ume mĂŒssen nicht âneutralâ im Sinne von charakterlos sein.
Architektur
Attraktoren
FĂŒr die 2008 in Beijing stattfindenden Olympischen Spiele steht ein Gesamtbudget von 40 Milliarden EURO zur VerfĂŒgung. Davon werden voraussichtlich nur 10% fĂŒr die Stadions und Sportanlagen ausgegeben, wĂ€hrend ca. 40% in Hard- und Software fĂŒr Infrastruktur und Informationstechnologie flieĂen werden.
Trotzdem sind diese architektonischen GroĂprojekte fĂŒr das – eigentlich mediale – Event der Olympiade als ImagetrĂ€ger in der Konkurrenz der globalen Ăkonomie der Aufmerksamkeit von groĂer Bedeutung. Schon heute werden diese Stadien-Projekte, zusammen mit den HochhĂ€usern, als Bilder des neuen China implementiert.
Auch der sich abzeichnende Wandel der Einstellung der chinesischen FĂŒhrung zu architektonischen GroĂprojekten, der eventuell deren â bereits andiskutierten â Stop zur Folge haben könnte, ist keine Absage an die Architektur. Er wird Ausdruck des sich verĂ€ndernden und an die internen (ökonomischen, sozialen, ökologischen) Schwierigkeiten anpassenden Selbstbildes dieses aufgehenden Giganten sein. Auch die Wiederentdeckung der, zum groĂen Teil schon zerstörten, historischen Bausubstanz durch den chinesischen Staat ist Ausdruck dieser beginnenden Neuorientierung. Auch hier wird Architektur symbolisch eingesetzt.
Eine Architektur, die sich nicht so sehr als FunktionsgehĂ€use versteht, wird immer stĂ€rker zur ReprĂ€sentationshaut. DafĂŒr eignet sich nicht nur die Einzelgeste des extravaganten SolitĂ€rs. Auch die durch Architektur gewĂ€hrleistete Einbettung in LokalitĂ€t, die durch kulturelle Eigenart und Ăberlieferung, durch Klima, Ressourcen, Topographie etc. bestimmt wird, kann diese identitĂ€tsstiftende Funktion mit ĂŒbernehmen.
Architektur heute hat jedoch nicht nur kompensatorische Funktion als Reaktion auf unsere âHochgeschwindigkeits- und Kurzzeitgesellschaftâ mit ihren âdynamisiertenâ RĂ€umen und ihrer beschleunigten Zeit. Architektur als Attraktor kann Bezugspol sein, sowohl als bleibendes Bild, als auch als an den Moment gebundene TaktilitĂ€t, und ist damit eine Voraussetzung fĂŒr das nachhaltige Bestehen in dieser sich immer schneller drehenden Welt.
Notes
[1] Elisabeth Niejahr: âMehr Wohlstand fĂŒr alle â Die Deutschen werden weniger. Dies ist kein Grund zur Panik, sondern auch eine Chanceâ, in âDIE ZEITâ Nr. 43, 14.10.2004
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