Berlin wird Barock @ Deutsche Bauzeitung

In der Deutschen Bauzeitung veröffentlichte der autor Bernhard Schulz, Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegel Berlin, einen Artikel über den Wiederaufbau des Berliner Stadtpalais.

Der Artikel verweist auch auf den Humboldt Vulkan.

Publikation Fake Architektur, Bernhard Schulz @ DB Deutsche Bauzeitung, Deutschland, 1 September 2017

Der Gegensatz ist unauflöslich: Hier Rekonstruktionsfans, die sich sozusagen an gebauten Fake-News berauschen möchten, dort jene, die den Widersinn darin beklagen. Bernhard Schulz frohlockt, dass Berlin allen etwas zu bieten hat.

Die beiden Tage der Offenen Tür im Berliner Schloss-mit-Humboldt-Forum haben kürzlich Zehntausende genutzt, um im Parterre durch die künftige Passage zu streifen, die den Bau gewissermaßen teilen wird, und den glasgedeckten Kleinen Schlosshof, der das Veranstaltungszentrum, die „Agora“ des Humboldt-Forums bilden soll. Man war angetan von den sorgfältig gearbeiteten, sandsteinfarbenen Betonfertigteilen, die Franco Stellas rationalistischer Entwurf zu ganzen Reihen von Rundpfeilern ordnet und die sich in der Tat hervorragend mit den rekonstruierten Teilen vertragen. Beispielsweise mit dem herrlichen Barockportal auf der Innenseite des Kleinen Schlosshofs, diesem römischen Triumphbogen, auf dem zwei Allegorien der Fama den königlichen Ruhm künden, die eine künftig mit vergoldeter Posaune und die andere, oh Wunder, das aus irgendwelchem Schutt gerettete, wenn auch lädierte und des Posauneblasens mangels Hand nicht mehr fähigen Originals. Aber man freut sich in Berlin über jedes Trümmerstück, das die frühere Existenz des Schlosses beglaubigt.

Mit dem Schloss, sei es nun alt oder neu, hadert indes noch so mancher. Dieser Tage hatte die Berliner Senatsbaudirektorin die Korrespondentin der Stuttgarter Zeitung in ihrem Büro zu Gast, im 14. Stockwerk der Senatsbauverwaltung. Und dort oben, wo man den Blick über Berlin schweifen lassen kann, wie man ehrfürchtig vermerkte, dort entfuhr der gebürtigen Schweizerin Regula Lüscher der Satz, sie sehe „die Gefahr, dass die Rekonstruktion ins Disneyhafte kippt“. Was man so sagt, wenn man aus seinem Herzen keine Mördergrube macht; und das Schöne an Frau Lüscher ist, dass sie, ihrer feinen, zurückhaltenden Art zum Trotz, aus ihrem Herzen durchaus keine Mördergrube macht. Dass sie die Schlossrekonstruktion – innen modern, außen barock, innen Beton, außen Backstein – nicht mag, hat sie oft genug wissen lassen, aber dass sie nun eine Rangelei ausgerechnet um das immerhin vom Bundestag 2015 beschlossene und mit fünf Extramillionen Euro ausgestattete Dachgartenrestaurant beginnt, muss wohl der entspannten Stimmung eines Sommertags im Büro geschuldet sein.

Der Chef der Schlossbaustiftung – sie ist der förmliche Bauherr und wird nach Fertigstellung aufgelöst –, Johannes Wien, konterte denn auch kühl: „Das Restaurant ist beschlossene Sache. Es wird mitgeplant und mitgebaut.“ Damit ist die Sache erledigt. Nicht erledigt ist der hinhaltende Widerstand, den Lüscher dem Schloss entgegensetzt. Hartnäckig sträubt sie sich gegen das Ansinnen, den berühmten Neptunbrunnen von Reinhold Begas – übrigens Neo-Barock des späten 19. Jahrhunderts –, der auf dem Schlossplatz stand und zu DDR-Zeiten auf die freigeräumte Fläche vor dem Berliner Rathaus gerückt wurde, wieder an seinen historischen Standort zu stellen. Die beiden lebensgroßen Rossebändiger von 1843, die auf der Lustgartenseite des Schlosses standen und nach Kriegsende vor den Alliierten Kontrollrat am Kleistpark wanderten, sollen erst recht bleiben, wo der Zufall sie hin verschlug.

Nein, Liebe zum Historischen wird man Lüscher nicht nachsagen wollen. So soll es denn auch auf besagter Lustgartenseite, auf der seit Jahrzehnten Autoverkehr auf der vielspurigen Straßenverbindung zwischen Unter den Linden und Liebknechtstraße/Alexanderplatz lärmt, allenfalls ein karges Kleinpflaster geben, keinesfalls die Gartenterrasse, die der „Lustgarten“ in seinem Namen bewahrt und die so großartig von Schinkels Altem Museum begrenzt wird. Auf diese Seite hin, die künftig als Hauptfassade des Schlosses wahrgenommen werden wird, schaute jetzt schon mal ein Stückchen fertig verputzter Schlossfassade – in hellem Gelb, was als allererste Farbgebung durch die Untersuchung von in abgelegenen Schuttbergen aufgefundenen Trümmerteilen ermittelt werden konnte. Das Gelb ist gewöhnungsbedürftig, und ob es mit dem hellen sächsischen Sandstein harmoniert, aus dem die makellosen Fenstergewände und -giebel und die mit lustig umherblickenden preußischen Adlern besetzten Wandfelder unterhalb des Gesimses geformt sind, wird die Zeit zeigen. An das zarte Rosa des Zeughauses jenseits des Kupfergraben genannten Spree-Arms hat man sich schließlich auch gewöhnt, und dass dieser gegenüber an der nunmehr fast fertiggestellten Staatsoper ebenfalls aufscheint, werden findige „Stadtführer“ sicher bald als Beispiel barocker Harmonielehre zu verkaufen wissen.

Die Staatsoper, um korrekt zu sein, ist nachgeahmter Barock der frühen DDR. Das Zeughaus ist außen tatsächlich original; das Schloss hingegen ist ein Komplett-Nachbau. Schon merkwürdig, dass Berlin, das sich doch stets so viel auf seine Zwanziger-Jahre-Modernität zugutehält, nun im Stadtkern barock aussieht. Immerhin ist es ein Barock von hauptstädtischem Zuschnitt. So groß, dass darauf ein Dachgartenrestaurant ohne Weiteres Platz findet. Und wem das den Magen umdreht, mag künftig an der Ostseite des Schlosses unter Franco Stellas rationalistischer Rasterfassade ein modernes Café aufsuchen. Es gibt da etwas für jeden Geschmack.

Rüdiger Schaper plädiert im Tagesspiegel dafür, die Bespielung des Humboldtforums grundlegend zu überdenken:
Macht Platz für den Dschungel

Und das Hybrid Space Lab schlägt schon seit Langem vor, den unseligen Fassadenzauber mit Gestaltung und Funktionen zu brechen, die Spaß machen:
Humboldt Vulkan

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