RIXC, das Zentrum neuer Medienkultur in Riga (ehemals E-lab), ist für sein umfassendes Interesse an neuesten Kommunikationstechnologien bekannt.
Als eine Art experimentelles Polygon arbeitet es an der ständigen Grenz-verschiebung in Bezug auf künstlerische Werk-zeuge, das Subjekt und selbst die Sprache.
Eines der ersten Art + Communication-Festivals rückte Net-Radio in den Brennpunkt ausführlicher internationaler Diskussionen, als eine Form der Produktion, aber auch der Distribution von Kunstinhalten.
Noch erstaunlicher jedoch war, dass auf Basis verschiedenster – und oft gemeinschaftlicher – Experimente und Konzepte der KünstlerInnen ein eigenes kreatives Netzwerk entstand und als eine weit verbreitete, unberechenbare, offene Medien-gruppe fortlebt.
Veröffentlichung Hybrid Space, Tatiana Goryuchevace @ Springerin magazine for criticism and theory of contemporary culture, Österreich, 16-17 Mai 2003
Medienarchitektur
nach dem
VR-Beben
Die sechste Auflage des Festivals unter dem Titel »Medienarchitektur« erreichte Newcomer wie auch jene, die zuvor schon in Gemeinschaftsinitiativen in ganz Europa aktiv waren – etwa das Network Interface for Cultural Exhange [NICE], das 1999 in Riga gestartet wurde. Das weit verbreitete Unbehagen am virtuellen Eskapismus und zunehmende beängstigende »Probleme im eigenen Land« (politisch, ökonomisch, sozial, ökologisch) haben schon unterschiedlichste kreative Auseinandersetzungen mit der Frage provoziert, wie das Modell einer global deterritorialisierten »Informationsgesellschaft« in lokalen Gemeinschaftsnetzen effektiv umgesetzt werden kann. Dieses allgemeine Hauptanliegen zahlreicher Festival Teilnehmerinnen – meist StellvertreterInnen lokaler Initiativen im Feld der Neuen Medienkultur – war zu einem gewissen Grad der bestimmende Hintergrund der Präsentationen und Diskussionen. Diese drehten sich um folgende Kernthemen: mögliche Wechselbeziehungen zwischen Medien-netzen und physischen, urbanen und sozialen Umgebungen; Medienkunst und kulturelle Aktivitäten bezüglich aktueller Probleme der Entwicklung öffentlichen Raums; das Potenzial der Medien (mobil/lokalisierend) für Kunst und Sozialgeografie. In all diesen Themen wurde der Architektur, als Begriff und Phänomen, der Architektur, als Begriff und Phänomen, eine multidimensionale Rolle zugeschrieben, sel es durch experimentell-theoretische, soziale, technologische, künstlerische, politische oder psychogeografische Zugänge.
Die meisten Präsentationen bestanden aus Projekten. Einige wenige davon wurden als Installationen im Rahmen der Ausstellung oder als Performances umgesetzt – im neuen, noch zu gestaltenden RIXC-Raum. Aber mit der bloßen Idee, »endlich einen Raum zur Verfügung zu haben«, waren die Leute von RIXC unzufrieden und so wurde von einer speziellen internationalen Architektengruppe in einem fünftägigen Workshop ein Projektvorschlag entwickelt. Die Manifestation einer Architektur mit erhöhten Anforderungen hinsichtlich ihrer Funktionen und soziokulturellen Programmatik fand sich etwa in den Ausführungen des Architekten Tuomas Toivonen (Finnland). Ihr Kern ist eine verantwortungsvolle Architektur, die auf aktuelle soziale Dynamiken reagiert, eine aktive Rolle in der Modellierung von Situationen spielt und offen bleibt für Einflüsse aus anderen seriösen Disziplinen.
Medien und Mediation in der vom Festival vorgeschlagenen Perspektive werden als das Schlüsselmoment, oder zumindest eines davon, im urbanen Design und der Umweltgestaltung betrachtet. So wurde etwa das visionäre Projekt »Idensity®« von Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar (Niederlande) vorgestellt, in dem ein hybrider öffentlicher Raum eröffnet werden soll, in dem Medien und physische Orte eine Verbindung miteinander eingehen.
Ihr Design einer solchen Schnittstelle für soziale Interaktionen integriert verschiedene funktionale Konzepte, etwa »Media Babies« (Einrichtungen für so genanntes Narrowcas-ting), »Bridge Clubs« (Räume für öffentliche Veranstaltungen und größere Broadcasting Einrichtungen) oder »Mobile Containers« (alle Transportmittel, die mit Sendern/Empfängern und interaktiven Rettungswesten ausgestattet sind). Allesamt unter dem Slogan »Ersetzt das Wahlrecht durch das Ubertragungsrecht«.
Daneben wurde das Berlin Urban Drift-Festival von Francesca Ferguson vorgestellt, das sich direkt mit dem lokalen urbanen Kontext auseinandersetzt und sich sozioökonomischen Krisen bzw. den dramatischen Transformationen der Gegenwart stellt. Seine multidisziplinäre Ausrichtung zielt auf die untersten Ebenen des urbanen Lebens bzw. natürliche Dynamiken sozialer und materieller Tätigkeiten, indem »die Spontaneität, das Zufällige und das Experimentieren im Architekturdiskurs wiedereingeführt werden soll« sowie ein »Reaktivieren des Negativraums«, sprich: ungenützter Flächen.
Hybridität ist heute eine Bedingung jeglicher Logik intermedialer und räumlicher Kommunikationsbeziehungen, sagt Eric Kluitenberg in seiner Schrift »Constructing the Digital Commons: A Venture into Hybridisation«. Die »Digital Commons« sind ein strategisches Konzept, um die Idee öffentlich geteilter, nicht-materieller Ressourcen (Information, Wissen, Ideen) neu zu positionieren, welches ihre aktive Bedeutung betont und demzufolge Menschen Verantwortung für ihre Erzeugnisse und deren Nachhaltigkeit übernehmen sollen. Dennoch bleibt der Zugang zu diesen Räumen der Ressourcenakkumulation entscheidend. Manche der vorgestellten Projekte nahmen Bezug auf die Idee einer sozio-symbolischen und mentalen Rekonstruktion des Raumes und waren auf die eine oder andere Art mit dem Feld der Psychogeografie ver-knüpft. Unter ihnen war Esther Polaks (Niederlande) »Real Time Riga« (Produktion: De Waag, Amsterdam, Co-Produktion: RIXC): eine Visualisierung mentaler Stadtkarten auf einem Bildschirm im öffentlichen Raum, entstanden durch die Nachzeichnung der von den Einwohnerinnen zurückgelegten Wege mittels individueller GPS-Übertragung. Entsprechend der Logik und Taktik der Situationisten kann die Psychogeografie aber nicht bloß auf visu-elle Repräsentation beschränkt sein. Die Performance von Marko Peljhan und anderen unter dem Titel »Project Atol — Signal Server« sammelt, verarbeitet, mixt, transformiert und verteilt Signale, Sounds und Visuelles und lässt dadurch Kompositionen in Echtzeit ent-
stehen. Demgegenüber ist »radioqualia« von Honor Harger & Adam Hyde (Australien, Neu-seeland/Großbritannien) nicht nur eine Kunstinitiative für »Experimente mit künstlerischem Broadcasting«, sondern auch eine Art technologischer Pool, der eine bestimmte Soft- und Hardware empfiehlt, die von anderen Künstlerinnen selbst hergestellt werden kann, um Die Idee der Neuentdeckung und Reaktivierung von Räumen und Orten war auch Ausgangspunkt dadurch Streaming-Media-Projekte zu ermöglichen. Ihr Credo lautet, »jene versteckten Orte zu zelebrieren, an denen sich eine alchemistische Hochzeit zwischen Absicht und Fehler ereignet.«
Für das Projekt »[RT-32] Acoustic.Spacelab«: ein Symposion und Work-shop, die 2001 stattfanden und eine kollektive multimediale Erforschung des VIRAC-Radio-teleskops, einer 32 Meter hohen Antenne in Irbene (Lettland), die ehemals Eigentum des sowjetischen Militärs war. Die DVD des Projekts wurde zum Abschluss des Festivals präsentiert — direkt im Teleskop, zu dem alle Teilnehmerinnen und Gäste mit einem Bus gebracht wurden. Ein breites Spektrum kreativer, investigativer, kritischer und herausfordernder Ideen wurde auf diesem Festival vorgestellt, die alle-samt versuchen, neue Räume und Formen unterschiedlichster, unbeschränkter soziokultureller und kommunikativer Praktiken zu entwickeln. Die Frage ist, ob deren Produzent-Innen und Organisatorinnen weiterhin ihren Willen zur entzauberten Realität werden auf-rechterhalten können.
ART + COMMUNICATION 2003 The 6th International Festival for New Media Culture Riga, 15. bis 18. Mai 2003 http://rixc.1v/03/info.html
Näheres in: Acoustic Space: Media Architecture, Reader no. 4, Riga, 2003
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