Industrienachfolge-landschaften @ Bauhaus University Weimar

Workshop in Zusammenarbeit mit der TU Berlin, der TU Kaiserslautern und der Bauhaus-UniversitÀt Weimar, herausgegeben von der Bauhaus-UniversitÀt Weimar (European Urban Studies).

Workshop & Veröffentlichung Industrial Succession Landscapes @ Bauhaus UniversitÀt Weimar, Germany, 17 February 2006

Industrienachfolge-landschaften

von der
LinearitÀt
zur
KomplexitÀt

Das Ruhrgebiet als vorkybernetische Maschine, diese Metapher brachte Ulrich Borsdorf, Leiter des Ruhrlandmuseums, ein, als wir ihm ein Konzept fĂŒr ein „big urban game“ zur Thematik der Entwicklung des Ruhrgebiets vorstellten. Er wies auf die LinearitĂ€t der Industrielandschaft Ruhrgebiet hin und setzte die vorkybernetische Maschine als ErklĂ€rungsmuster fĂŒr die Entwicklung der Stadtlandschaft des Ruhrgebiets ein (Prof. Dr. Ulrich Borsdorf im GesprĂ€ch am 8. Juni 2005 im Ruhrlandmuseum, Essen). Im Unterschied zum digitalen Spiel des kybernetischen Zeitalters, das durch Non-LinearitĂ€t gekennzeichnet ist, in dem immer wieder neue Verzweigungen Optionen und alternative Szenarien entstehen lassen und dessen Handlung sich durch Interaktion immer neu erfindet, Ă€hnelt die industriell geprĂ€gte Ruhrgebietslandschaft Ulrich Borsdorf zufolge einer vorkybernetischen Maschinerie.

Dieses vorkybernetische Getriebe ließ keine RĂŒckkopplung zu; EngpĂ€sse und Probleme im System, wie Lieferungsverzögerungen und –ausfĂ€lle, waren durch Redundanz und Masse aufzufangen. Als lineares System war eine solche vorkybernetische Maschine fĂŒr Störungen anfĂ€llig, da sie nicht flexibel reagieren konnte. Die MassivitĂ€t machte eine Neuprogrammierung auch nicht einfacher.

Smart Mob

Mit der LinearitĂ€t der vorkybernetischen Maschine und deren Problematik wurden wir auf der Zeche Warndt im Saarland konfrontiert, wo wir uns im November 2006 zu einem Workshop ĂŒber die Entwicklung von Zukunftsszenarien fĂŒr die stillgelegte Tagesanlage zusammenfanden. Eine ganze Wand im Schaltraum war mit dem Fließdiagramm des linearen Produktionsablaufs der Zeche besetzt (siehe Foto). Vor diesem wunderschönen grafischen Muster standen ein paar Monitore als Zeugen der nĂ€chsten Zeitschicht, der kybernetischen Zeit, der Zeit der Vernetzung und somit der Globalisierung, also der Zeit der Prozesse, die die Schließung der Tagesanlage zur Folge hatten.

Die Frage “was aus dem Warndt werden soll, wenn mit der Schließung des Förderstandorts in 2005 der Steinkohlebergbau zu Ende geht“ stand bei der Einladung zu dem Workshop zentral. Aus unterschiedlichen geografischen und fachlichen Gebieten kommend, trafen wir uns auf der Tagesanlage. FĂŒr kurze Zeit fanden wir uns als smart mob zur intensiven Interaktion auf dem GelĂ€nde ein, um mit lokalen Akteuren und Netzwerken zusammenzuwirken, um wieder zu gehen und um uns bei anderer Gelegenheit an einem anderen Ort als modifiziertes und erweitertes Netzwerk wieder zu versammeln. Die vorliegende Dokumentation ist ein Zeitschnitt in diesem Prozess.

Dieses Netzwerk-Modell der Zusammenarbeit, bei dem multiple Akteure in sich stĂ€ndig wandelnden Konstellationen miteinander interagieren – das sicherlich auch mit all seinen Problemen das Arbeitsmodell der Zeit der Flexibilisierung darstellt – spiegelte sich auch in unseren Arbeitsergebnissen wieder.

Prozesse

Bei den im Workshop erarbeiteten Projekten und VorschlĂ€gen wurden keine fertige Lösungen festgeschrieben. Vielmehr wurden flexible, prozessorientierte Strategien entwickelt, um die Inbesitznahme und Inwertsetzung des GelĂ€ndes zu fördern. Bei den Projekten ging es nicht um große EntwĂŒrfe – sondern um VorschlĂ€ge, wie das Warndt-GelĂ€nde fĂŒr Prozesse der Aneignung durch Mensch und Natur zu öffnen sei: VorschlĂ€ge zu den ZugĂ€ngen und Erschließungen, Szenarien fĂŒr Zwischennutzungen und Nutzungssynergien, Projekte zur Sukzession und zur temporĂ€ren Besetzung. Dabei wurde versucht, die KomplexitĂ€t von multiplen, von RĂŒckkopplungseffekten durchsetzten Prozessen zu berĂŒcksichtigen.

Es wurde nicht auf eine (Planungs-)Instanz gesetzt, die eine Umstrukturierung einleiten und lenken wĂŒrde, sondern es wurden Szenarien der Interaktion fĂŒr das komplexe Zusammenspiel einer MultiplizitĂ€t von Akteuren entwickelt. Da zunĂ€chst nicht mit dem großen Investor zu rechnen sei, wurde auf eine Vielzahl von teilweise informellen Nutzungen gehofft, die eventuell Impulse fĂŒr einen Entwicklungs- und Transformationsprozess mit sich bringen könnten.

Dieser prozessorientierte Ansatz reflektiert die dynamische Situation der sich im Wandel befindlichen postindustriellen Landschaft. FĂŒr die Industrienachfolgelandschaft wurden komplexe Prozesse entworfen. Dabei sind wir, der smart mob, der kurzweilig ĂŒber das GelĂ€nde herfiel, auch einer der interagierenden Akteure. Und vielleicht war der Workshop nicht nur der einmalige Zeitschnitt eines Netzwerks, sondern – als saisonales, alljĂ€hrlich wieder stattfindendes Ereignis – eine der Impuls gebenden Handlungen im komplexen Prozess.

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