Urbane Akupunktur @ Deutsche Bauzeitung

Der Stadtumbau setzt punktuell im Stadtfeld mit Um- und Anbauten, ressourcenschonend und strategisch ein.

Bei der Neuprogrammierung von bestehenden Baulichkeiten geht es nicht nur um funktionale Neubelegungen.

Die Umnutzung von RĂ€umlichkeiten ist ein Prozess, der ĂŒber die funktionalen Aspekte hinaus, auch die Neukodierung und die symbolische Neubewertung von Raum mit einbezieht.

Veröffentlichung Urban Akupunktur @ Deutsche Bauzeitung Deutschland, 20 Februar 2007

Urbane Akupunktur und Netzwerke der Stadtlandschaft

Strategien fĂŒr den Umgang mit dem Bestand

Als Stadtumbau-Laboratorium wurde 2006 das Museum fĂŒr Architektur und Ingenieurkunst Nordrhein-Westfalen (M:AI) ins Leben gerufen. „Wohl kein anderes Land hat sich soviel Wissen, Kompetenz und Erfahrung in der Transformation der gebauten Umwelt erworben wie Nordrhein-Westfalen. [
] Diesen Wissensspeicher und diesen Kompetenzvorsprung wollen wir nutzen, fĂŒr die Entwicklung Nordrhein-Westfalens selbst, aber auch fĂŒr die Regionen weltweit, die diesen Umstrukturierungsprozess noch vor sich haben. Dies wird der inhaltliche Schwerpunkt des Museums fĂŒr Architektur und Ingenieurkunst sein“, so der zustĂ€ndige Minister Oliver Wittke[1].

Das M:AI soll – ohne eigenes Haus – ein mobiles „Netzwerk-Museum“ sein. Als „Kampagne fĂŒr gutes Bauen“ dockt es sich an vorhandene Institutionen und RĂ€ume an und unterstĂŒtzt und entwickelt Projekte. Als erste Handlung hat sich das M:AI die stĂ€dtischen Museen als Partner gesucht, um fĂŒr die Architektur der Museen und deren urbane Verankerung AnstĂ¶ĂŸe zu liefern.

Eins dieser Projekte brachte das M:AI zum Museum Bochum, eine hochwertige Bausubstanz aus dem Beginn der 80er Jahre, erstellt durch die dĂ€nischen Architekten Jorgen Bo & Vilhelm Wohlert als Anbau zur historizistischen Doppelvilla Marckhoff-Rosenstein aus dem Jahre 1900. Diesmal ging es nicht um eine erneute Umnutzung und einen Weiterbau des Ensembles, sondern um eine „Entfaltung einer Museumslandschaft“, was ĂŒber die rĂ€umliche Komponente, die Beziehung GebĂ€ude mit dem umliegenden Freiraum, auch inhaltlich-programmatische Aspekte beinhaltete.

Neukodierung und urbane Akupunktur als minimaler Eingriff

In diesem Rahmen entwickelt, schlĂ€gt das Projekt „11en hain bochum“ fĂŒr die Entfaltung der Museumslandschaft eine Doppelstrategie vor: eine Umbenennung des Museumsstandortes, die der Entfaltung der AtmosphĂ€re des Ortes dient und eine Akupunktur mithilfe minimaler architektonischer Interventionen, die diese Neukodierung unterstĂŒtzt.

Dies greift auf das Projekt der Stadt Bochum zurĂŒck, die UnterfĂŒhrungen an den Hochbahntrassen, die die Innenstadt von Bochum umschließen, in der Art der alten Werktore zu nummerieren und zu beleuchten, um durch die Errichtung von KunstLichtToren Eingangssituationen fĂŒr die Bochumer City zu schaffen. Der Standort des Museums, direkt von der Innenstadt ĂŒber das KunstLichtTor 11 erschlossen, steht mit seinem grĂŒnen Charakter im Kontrast zu der dicht bebauten Struktur der angrenzenden City.

Das ist der Ausgangspunkt, um die grĂŒne Oase direkt vor dem KunstLichtTor 11 als “11enhain bochum“ neu zu interpretieren. Diese Kommunikationsstrategie bereichert den Ort mit einer assoziativen Metapher und bietet nicht nur ein neues Urban Brand fĂŒr den Standort sondern auch einen Rahmen fĂŒr die Corporate Identity des Museums selbst.

Zur UnterstĂŒtzung dieser Neuinterpretation des Standortes wird eine Akupunktur mithilfe von leichten architektonischen Elementen vorgeschlagen, die neue ZugĂ€nge und Perspektiven auf den Standort ermöglichen sollen. Um die Akupunkturpunkte festzulegen, wurden die Mikrotopologien der Museumslandschaft sorgfĂ€ltig erkundet, die wunden Punkte, die Problembereiche, im Außen- und Innenraum gesucht. Der „11en hain“ Metapher entsprechend, wurde ein Mikroblick fĂŒr die kleinen spezifischen Situationen entwickelt, was auch sehr ungewöhnliche Blickwinkel einnehmend, neue Perspektiven auf die Museumslandschaft eröffnete.

FĂŒr die drei Akupunkturpunkte, die sich dabei herauskristallisiert haben, wurden kleinmaßstĂ€bliche Interventionen mithilfe von leichten architektonischen plug-in Elementen vorgeschlagen, die das Innen und das Außen der Museumslandschaft verbinden: ein neuer Eingang fĂŒr die MuseumspĂ€dagogik durch das Fenster des Altbaus, Bautypologien invertierend, ein Hochsitz als Aussichtspunkt auf den Park, als Markierung fĂŒr das neu entstehende CafĂ©, und eine Vitrine fĂŒr den Museumsshop, als Leitelement vom Eingangsfoyer Richtung Altbau.

Diese kleinen Eingriffe, die auch unabhĂ€ngig voneinander realisiert werden können, ermöglichen eine wahre Gebrauchskunst und sind mit zeichenhaftem Charakter versehen. Somit entsprechen sie der „Theorie des kleinstmöglichen Eingriffs“, die 1982 durch den Stadtsoziologen Lucius Burckhardt formuliert worden ist[1]. Der Umwandlungsthematik folgend, die in der Metapher „11en hain“ innewohnt, wurde fĂŒr die architektonische Formfindung der einzelnen Elemente die Methode der prozessorientierten computergestĂŒtzten Form-Transformation eingesetzt.

Im Rahmen, der vom M:AI mitgetragenen Werkstatt zur Zukunft der Museumslandschaft Bochum, wurden innovative, gleichzeitig radikal und pragmatische, Strategien im Umgang mit dem Bestand entwickelt. An den Vernetzungspunkten – der Institution Museum mit seinem Umfeld mithilfe der neuen Funktionen MuseumspĂ€dagogik, Restaurant und Shop und an den Grenzen zwischen Innen und Außen – setzen die Akupunkturen ein. Im Maßstab der Stadtlandschaft des Ruhrgebiets betrachtet, bietet sich das Museum als Knotenpunkt im urbanen Netzwerk, als Akupunkturpunkt an. Die Museumslandschaft als Oase fĂŒr Stadtnomaden wird in ihrer Anziehungskraft als Pol im StĂ€dtenetzwerk Ruhrgebiet verstĂ€rkt.

Netzwerke

Diese Betrachtung des Agglomerationsraums als Netzwerk-Stadt, setzt den Fokus auf den Netzwerk-Charakter der Stadtlandschaft, mit den Verkehrswegen, Wasserwegen und GrĂŒnverbindungen, die die urbanen Landschaften ĂŒberlagern und verweben. In der, durch Fragmentierung und Perforierung bestimmten Stadtlandschaft des Ruhrgebiets, ermöglicht eine solche, sich auf die Netzwerke fokusierende AnnĂ€herung, ein operatives VerstĂ€ndnis, um verwebend auf die sich zersplitternde urbane Landschaft mit einzuwirken.

Das Netzwerk-Paradigma wird eingesetzt auch bei der Beschreibung von zeitgenössischen gesellschaftlichen PhĂ€nomenen, siehe das Standardwerk vom Stadtsoziologen Manuel Castells „Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“. [1] Auch folgen aktuelle Institutionen diesem Netzwerk-Modell: “Das M:AI findet sich in den 396 StĂ€dten unseres Landes, und es wird manifest in einem mobilen System innerhalb eines Netzwerkes all derer, die an der PrĂ€sentation von und der Diskussion um Architektur und Ingenieurkunst ein Interesse haben
.“[2] so der GeschĂ€ftsfĂŒhrer des M:AI Wolfgang Roters.

Eine sich in Entstehung befindende „Network Science“[3] richtet das Augenmerk auf die Netzwerke und ermöglicht, wie bei einem Röntgenblick, ein VerstĂ€ndnis der Entwicklung und Wirkung von komplexen Systemen in der realen Welt. Die „Network Science“ als Weiterentwicklung der KomplexitĂ€tstheorie, ist auch fĂŒr das VerstĂ€ndnis des komplexen Systems Stadtlandschaft von Relevanz, um die topologischen Beziehungen, die die Entwicklung dieses hochkomplexen Gebildes vorantreiben, nachzuvollziehen, um dabei lenkend mit einzuwirken.

Da die Stadtlandschaft entlang von Wegen, entlang von Autobahnen und Bahntrassen, Strassen und KanĂ€len erfahren wird, sind die MobilitĂ€tsnetzwerke fĂŒr die Wahrnehmung der Stadtlandschaft bestimmend. Um an den Bildern und (somit auch an den Leitbildern) der urbanen Landschaft mitzuprogrammieren, muss an den Netzwerken angedockt werden, an den Autobahnen, Bahntrassen, Strassen und KanĂ€len.

Network
Akupunkturen

Die postindustrielle Stadtlandschaft des Ruhrgebiets wird durchzogen durch ein komplexes System von Wasserwegen. Diese KanĂ€le, im Industriezeitalter als Transportwege angelegt, durchschneiden die RĂŒckseite der Stadtlandschaft, die alten verlassenen Industrie-HĂ€fen und stillgelegten Anlagen. Siebzehn StĂ€dte und zwei Kreise im nordöstlichen Ruhrgebiet haben sich in die regionale Initiative „Fluss Stadt Land“ zusammengeschlossen, um dieses dichte zusammenhĂ€ngende System von KanĂ€len und FlĂŒssen, das aus dem Industriezeitalter stammt, in eine Freizeitlandschaft aufzuwerten.

Das Projekt “Water Mobili”, fĂŒr diese regionale Initiative entwickelt, richtet sich auf dieses Netzwerk von Wasserwegen und schlĂ€gt mobile Wassermöbel vor. Es sieht eine Serie von Freizeit-Elementen vor, um die Akupunkturpunkte dieser Netzwerklandschaft zu stimulieren und zu öffnen fĂŒr die Freizeitgesellschaft und Tourismuslandschaft.

Modulare Bauelemente werden in Containern transportiert und docken an ausgewĂ€hlten Stellen der Wasserlandschaft an. Diese mobilen Wassermöblierungen können in vielerlei Arten zusammengesetzt werden: von Camping Plattformen, schwimmenden Bars, Buden, Ausstellungsplattformen und Picknick Boxen zu Wassertheatern und KanalschwimmbĂ€dern
 oder andere fantasievolle Zusammenstellungen. Als ein offenes modulares System bietet sich „Water Mobili“ dem kreativen Gebrauch.

Diese kleinen Netzwerk-Elemente dienen zur Anlagerung von Freizeitnutzungen und zur Aktivierung der post-industriellen Wasserlandschaft des Ruhrgebiets. Sie schwimmen im Wasserwegenetz und injizieren die verlassenen industriellen Landschaften mit Freizeitoptionen. Als mobile Elemente bieten sie immer wieder neue Zielsetzungen fĂŒr Wanderungen zur Erkundung der Stadtlandschaft. Als eine Akupunktur von Gebrauchselementen ĂŒberlagern sie, die sich monokausal entwickelten Gebiete mit neuen Bedeutungen und Ge-schichten. Sie sind temporĂ€re Setzungen und respektieren somit den offenen, freien, unbesetzten Charakter dieser RĂ€ume.

Als mobile Akupunkturen im Netzwerk der Stadtlandschaft ermöglichen sie neue Nutzungen und Perspektiven und fungieren als WahrnehmungsverstÀrker. Sie dienen der funktionalen Neuprogrammierung und der symbolischen Neubewertung von vorhandenen RÀumen.

Notes

[1] Oliver Wittke, Minister fĂŒr Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, in „Museum fĂŒr Architektur und Ingenieurkunst des Landes Nordrhein-Westfalen: Mobiles Museum – Laboratorium – Kampagne“, M:AI, No. 1, Gelsenkirchen, 2006.

2 Lucius Burckhardt „Die FlĂ€chen mĂŒssen wieder in Besitz genommen werden“, erschienen in „Die Stadt“ 29/11, 1982 und wiederaufgelegt in: Lucius Burckhardt „Wer Plant die Planung – Architektur, Politik und Mensch“, Berlin, 2006, S.345.

3 Manuel Castells „Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“, Opladen, 2001; aus dem Englischen: Manuel Castells „The Rise of the Network Society“, Massachusetts/Oxford, 1996.

4 Wolfgang Roters in GesprĂ€ch mit Nikolaus Kuhnert und Anh-Linh Go in „Museum fĂŒr Architektur und Ingenieurkunst des Landes Nordrhein-Westfalen: Mobiles Museum – Laboratorium – Kampagne“, M:AI, No. 1, Gelsenkirchen, 2006.

5 Siehe, zum Beispiel, Albert-László Barabási “Linked: The New Science of Networks”, Cambridge/Massachusetts, 2002, oder Duncan J. Watts “Six Degrees: The Science of a Connected Age”, London, 2003.

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