Das Valle de los Caídos ist als Gedenkstätte für die Gefallenen des Spanischen Bürgerkriegs höchst umstritten: Lange Zeit diente es vor allem der Verherrlichung des Diktators Franco.
Das Projekt „Deep Space“ will den Besuchern auch die dunkle Seite des Ortes zeigen.
Interview, Eckhard Roelcke, Journalist @ Deutschlandfunk Kultur, Deutschland, 8 August 2020
Das Valle de los Caídos ist als Gedenkstätte für die Gefallenen des Spanischen Bürgerkriegs höchst umstritten: Lange Zeit diente es vor allem der Verherrlichung des Diktators Franco. Das Projekt „Deep Space“ will den Besuchern auch die dunkle Seite des Ortes zeigen.
Das Valle de los Caídos („Tal der Gefallenen“) bei Madrid ist eine große Gedenkstätte, die auf Initiative des spanischen Diktators Francisco Franco errichtet wurde. Sie ist den Gefallenen des Spanischen Bürgerkriegs gewidmet und eine der umstrittensten Gedenkstätten der Welt. Inmitten einer reizvollen und präzise komponierten Landschaft gelegen, steht sie für die Verherrlichung der politisch dunklen Vergangenheit Spaniens.
Auf dem Gelände befanden sich auch die Kasernen für Tausende von republikanischen Kriegsgefangenen. Doch Touristen haben normalerweise keinen Zugang zu solchen Informationen und Erklärungen, sagt die Architektin Elizabeth Sikiaridi. Im Rahmen des interdisziplinären Projekts „Deep Space“ will die britische Architektin zusammen mit anderen Forschern des Berliner Think Tanks und Design Labs „Hybrid Space Lab“ das Franco-Denkmal mit digitalen Mitteln umgestalten – zunächst ohne es äußerlich zu verändern, sondern durch Augmented Reality. „Deep Space“ ist ein langfristiges Forschungsprojekt, das sich mit Erinnerungsräumen, Erinnerungspolitik und umstrittenen Gedenkstätten im digitalen Zeitalter beschäftigt.
Dies könnte unter anderem so geschehen, dass die Besucher das Gelände auf einem Tablet betrachten und so einen Eindruck davon bekommen, wie der Ort direkt nach dem Spanischen Bürgerkrieg aussah, erklärt Sikiaridi. Ziel ist es, beim Durchwandern des Geländes weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
Und: „Wir dachten: Plötzlich versteht man den Ort viel besser, wenn man auch die republikanischen Kriegsgefangenen und die republikanischen Gefallenen in den Blick nimmt, deren sterbliche Überreste aus Massengräbern aus dem ganzen Land ins Valle de los Caidos gebracht wurden, ohne dass die Angehörigen davon wussten oder ihr Einverständnis gaben“, sagt Sikiaridi.
Interview
Eckhard Roelcke:
Franco war ein Diktator, der mit totalitären Mitteln eine mörderische Politik verfolgte; Zehntausende wurden gefoltert, inhaftiert und ermordet. Müttern wurden ihre Neugeborenen gestohlen, es ist unvorstellbar. All dies nicht selten unter den Augen der allmächtigen katholischen Kirche. Spanien hat seine faschistische Vergangenheit nicht wirklich aufgearbeitet. Viele Menschenrechtsverletzungen sind noch immer nicht aufgearbeitet. Franco regierte bis zu seinem Tod im November 1975.
Immer wieder werden Stimmen laut, die Franco dafür loben, dass er Spanien angeblich vor dem Kommunismus gerettet hat. Faschismus-Nostalgiker verehren sogar sein monumentales Grab im „Tal der Gefallenen“, einem Wallfahrtsort.
Im vergangenen Oktober sorgte die Umbettung der sterblichen Überreste Francos für Schlagzeilen im In- und Ausland. Wir haben auch hier im Kulturradio „Fazit“ ausführlich darüber berichtet. Nun wollen wir über das leere Grab Francos sprechen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie dieser Ort in Zukunft von der spanischen Geschichte zeugen soll, was der Besucher erlebt.
Das interdisziplinäre Hybrid Space Lab Berlin hat zu diesem Thema geforscht und einen Workshop in Madrid organisiert. Ich möchte nun mit Elizabeth Sikiaridi, Professorin für Entwerfen in der Landschaftsarchitektur an der Universität Duisburg-Essen und der Technischen Hochschule Ostwestfallen-Lippe und Mitglied des Hybrid Space Lab, darüber diskutieren, welche Möglichkeiten das Gelände des „Valley of the Fallen“ nun bietet. Schönen Abend noch!
Elizabeth Sikiaridi:
Guten Abend!
Eckhard Roelcke:
Bevor wir über die zukünftige Gestaltung sprechen, lassen Sie uns zunächst einen kurzen Blick auf den Status quo werfen. Bitte beschreiben Sie, wie diese Gedenkstätte aussieht, wie die Besucher die Seite erleben.
Elizabeth Sikiaridi:
Dies ist ein Touristenziel. Das heißt, Touristen kommen mit dem Bus dorthin, es ist nicht so weit von Madrid entfernt. Auf dem Weg dorthin sieht man dieses Kreuz, es ist ein riesiges Kreuz, das mehr als 150 Meter hoch ist und mehr als 30 Kilometer weit zu sehen ist. Und man kommt dorthin, indem man durch eine präzise komponierte und gestaltete Landschaft fährt, alles ist sehr präzise angeordnet – aber für das Auto ist das sehr interessant – über Brücken, dann schließt sich der Blick und öffnet sich wieder und plötzlich erreicht man die Esplanade und der Blick öffnet sich in einer panoramischen Weise. Und hinter der Esplanade unter dem Kreuz steht eine riesige Kirche, die mehr als 260 Meter lang ist mit einer riesigen Kuppel in der Mitte.
Wenn ein Tourist genau hinschaut, sieht er, dass auf den Mosaiken auch ein Panzer abgebildet ist. Ich glaube, dies ist die einzige Kirche mit einem Panzer im Mosaik. Aber der Tourist erfährt nichts. Auf der offiziellen Website gibt es kaum Informationen über diese Stätte, außer ihrer Monumentalität und ihrer Größe. Die Reiseführer sagen wenig, und vor Ort wird nur sehr wenig erklärt.
Hinter der Esplanade befindet sich der Berg, aus dem die riesige Basilika herausgeschnitten wurde. Und auf der anderen Seite des Berges befindet sich ein Kloster, ein Benediktinerkloster. Die Benediktinermönche verwalten den Komplex noch immer. In dem Kloster gibt es auch einen Knabenchor mit Internat. Und es gibt jeden Tag um elf Uhr eine Messe – bis zur Umbettung Francos an seinem Grab und zu seinen Ehren.
Eckhard Roelcke:
Sie haben bereits zwei Stichworte genannt, die ich für sehr wichtig halte, Frau Sikiaridi. Man sollte genau hinschauen und mehr über diesen Ort erfahren. Es stellt sich natürlich die Frage, wie kommt ein solches Projekt nach Berlin? Warum beschäftigen Sie sich mit dieser Franco-Gedenkstätte in Berlin?
Elizabeth Sikiaridi:
Wir wurden eingeladen, ein künstlerisches Projekt in Madrid zu entwickeln, und wir haben uns diese Aufgabe gestellt. Wir haben Erfahrung in der Neuinterpretation, Transformation, Aneignung von umstrittenen kulturellen Orten. In Berlin haben wir am Humboldt-Forum mit den Projekten „Humboldt-Dschungel“ und „Humboldt-Vulkan“ gearbeitet – wobei ich sehr vorsichtig sein sollte, diese im Zusammenhang mit Valle zu erwähnen, denn Valle hat ganz andere Dimensionen, nicht nur in der Größe, sondern auch in der Konfliktsituation, da sollte man sehr vorsichtig sein.
Also sind wir nach Madrid gereist und haben mit den zuständigen spanischen Experten gesprochen. Sie sagten uns: Kommt schon, wir brauchen euch, wir kommen selbst nicht weiter, wir stecken fest. Tatsächlich ist der Blick von außen recht hilfreich, wie sich in einer Reihe von Situationen gezeigt hat, zum Beispiel in der jüngeren europäischen Geschichte, wo Außenstehende dazu beigetragen haben, schwierige historische Hinterlassenschaften zu bewältigen, zum Beispiel den Antisemitismus in Polen, das Vichy-Regime oder die koloniale Vergangenheit der Niederlande. Es gibt mehrere solcher Beispiele.
Eckhard Roelcke:
Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten: Man könnte ein solches Ensemble abreißen, man könnte es irgendwie überbauen oder irgendwie ergänzen. Gab es grundsätzliche Vorgaben oder Überlegungen?
Elizabeth Sikiaridi:
In unserem Fall kam ein Abriss absolut nicht in Frage. Wir denken, dass es wichtig ist, solche Zeugnisse aus totalitären Regimen aufzubewahren, weil es letztlich ein in Stein gemeißeltes Zeugnis des Nationalkatholizismus ist. Das ist wichtig, auch für künftige Generationen.
Für uns war es wichtig, wie man diesen Ort umgestalten kann, wie man diesen Prozess begleiten kann. Und dafür sind kreative Mittel, künstlerische Mittel, aber auch digitale Mittel geeignet. Und vor allem ist diese „digitale Strategie“ in Spanien sehr gut aufgenommen worden.
Eckhard Roelcke:
Können Sie diese „digitale Strategie“ kurz erläutern, wie diese irgendwie sinnlich erfahrbar ist.
Elizabeth Sikiaridi:
Was wir derzeit vorbereiten, nämlich die Entwicklung einer Augmented-Reality-Anwendung, ist sinnlich erfahrbar. Augmented Reality ist im Grunde eine Art mediale Informationsfolie, die die Realität überlagert. Diese kann mit Hilfe eines Tablets oder eines Smartphones erlebt werden. Man blickt auf Valle de los Caídos und sieht plötzlich die Gräber, die für den Besucher eigentlich nicht sichtbar sind, weil sie hinter der Basilika versteckt sind und es keinerlei Insignien gibt. Davon bekommt der Besucher derzeit nichts zu sehen.
Oder, wenn man sich auf dem Gelände bewegt, sieht man die archäologischen Überreste der Baracken der Kriegsgefangenen, die dort mit ihren Familien lebten, während sie fast zwei Jahrzehnte lang diesen Ort aus dem Granitstein herausgearbeitet haben.
Eckhard Roelcke:
20.000 Zwangsarbeiter mussten an dieser monumentalen Stätte arbeiten. Sie suchen also nach Spuren, ist das richtig?
Elizabeth Sikiaridi:|Völlig richtig, Spuren der anderen – nicht von Franco und dem Falangisten Primo de Rivera. Denn die ganze Diskussion, als wir das Projekt 2018 entwickelten, drehte sich eigentlich um die Umbettung Francos.
Wir dachten, dass dieser Ort anders verstanden werden könnte, wenn wir das Augenmerk auf die Gefallenen richten, auf die gefallenen Republikaner, deren Überreste aus Massengräbern im ganzen Land nach Valle de los Caídos gebracht wurden, ohne dass ihre Angehörigen davon wussten oder es zugaben, und auf die Kriegsgefangenen. Plötzlich sieht man diese Stätte mit ganz anderen Augen, wenn man sie in ihre Geschichte, in ihren Kontext einbettet.
Eckhard Roelcke:
Ich gehe davon aus, dass es nicht nur darum geht, mit dem Tablet durch das Gelände zu laufen und irgendwie Erfahrungen zu sammeln, sondern man will wahrscheinlich auch irgendwie eingreifen, nehme ich an.
Elizabeth Sikiaridi:
Interventionen an einem solchen Ort erfordern sehr lange und langwierige Prozesse. Wir haben überlegt, wie wir die Umwandlung dieses Ortes unterstützen können, und die Vorschläge, die aus dem Workshop hervorgingen, waren neben der „digitalen Strategie“, andere Blicke auf den Ort zuzulassen, wenn man sich durch das Gelände bewegt. Oder seine Umwandlung – denn es gab auch eine große Diskussion und Vorschläge, ihn in ein Forschungszentrum oder ein globales Friedenszentrum umzuwandeln – mit Hilfe von künstlerischen Aktionen zu unterstützen. Also im Prinzip, diesen Prozess zu unterstützen und zu begleiten, ihn zu transformieren, indem man, sagen wir, auf dem Denkmal performt – denn das sind Prozesse.
Eckhard Roelcke
Das war das Hybrid Space Lab in Berlin, das an der Umgestaltung der Franco-Gedenkstätte im Tal der Gefallenen bei Madrid arbeitet, und Elizabeth Sikiaridi, die Mitbegründerin des Hybrid Space Lab. Frau Sikiaridi, ich danke Ihnen!
Elizabeth Sikiaridi:
Vielen Dank, einen schönen Abend noch!
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