Deep Space @ Magazin fĂŒr Architektur Marlowes

Das Tal der Gefallenen ist eine große GedenkstĂ€tte, die in der NĂ€he Madrids auf Initiative des Diktators Francisco Franco errichtet wurde.

Publikation Vom Denkmal zum Mahnmal @ Magazin fĂŒr Architektur und Stadt Marlowes, Deutschland, 16 Juli 2019

Das Tal der Gefallenen ist eine große GedenkstĂ€tte, die in der NĂ€he Madrids auf Initiative des Diktators Francisco Franco errichtet wurde. Sie ist den Gefallenen des Spanischen BĂŒrgerkriegs gewidmet. Im Rahmen der Projekts „Deep Space“ wird vorgeschlagen, das Monument mit digitalen Mitteln zu transformieren – zunĂ€chst, ohne es physisch anzutasten, da dies langwierige Prozesse benötigen wĂŒrde.

„Deep Space“ ist ein langfristig angelegtes Forschungsprojekt, das sich ErinnerungsrĂ€umen, Erinnerungspolitik und umstrittenen GedenkstĂ€tten im digitalen Zeitalter zuwendet. Es sucht nach Methoden und Wegen eines Umgangs mit umstrittenen Orten. Kreative Prozesse und digitale Werkzeuge spielen dabei eine wesentliche Rolle. „Deep Space“ ist ein Projekt von Hybrid Space Lab.

Das Tal der Gefallenen (Valle de los CaĂ­dos) ist eine der am meisten umstrittenen GedenkstĂ€tten der Welt. Sein 152 Meter hohes Kreuz ist bis zu einer Entfernung von 30 Kilometern zu sehen. Die „Basilika“, eine Krypta von 262 Metern LĂ€nge und einer 42 Meter hohen Kuppel, wurde aus einem Granitfelsen geschlagen. Sie lĂ€uft auf einem großen Vorplatz aus, der einen ĂŒberaus reizvollen Ausblick auf die Landschaft gewĂ€hrt.
Die Anlage wurde zwischen 1940 und 1959 erbaut, zum Teil in Zwangsarbeit republikanischer HĂ€ftlinge. Zusammen mit den sterblichen Überresten von 33.000 Gefallenen beider verfeindeter Lager des Konflikts (die aus MassengrĂ€bern ĂŒberall im Land herbeigeschafft wurden), ist am prominentesten Punkt der Basilika die Grabstelle Francos platziert – gleich neben der des Falange-FĂŒhrers JosĂ© Antonio Primo de Rivera.
Man erreicht die GedenkstĂ€tte des Tals der Gefallenen ĂŒber Straßen und Wege, die in einer Art Pilgerlandschaft angelegt sind und sich in eine breit angelegte, durchkomponierte Landschaftsgestaltung einfĂŒgen – auf einem GelĂ€nde, das immer noch Reste der UnterkĂŒnfte fĂŒr Kriegsgefangene birgt.

Umstrittene
GedenkstÀtte

In den letzten Jahren hat sich in der spanischen Politik und Gesellschaft der öffentliche Diskurs ĂŒber die VerĂ€nderungen, die man im Tal der Gefallenen vornehmen sollte, intensiviert. Dies wurde bestĂ€rkt durch die von der spanischen Regierung im Jahr 2018 getroffene Entscheidung, die Überreste Francos zu exhumieren. Dies allein wĂŒrde jedoch, wenn das gesamte Mahnmal ansonsten unangetastet bleibt, lediglich einen Kenotaph schaffen: eine leere GrabstĂ€tte fĂŒr den Diktator.

Deswegen ist es dringend notwendig, das Narrativ dieses Ortes zu verĂ€ndern. Erst recht, wenn man bedenkt, dass es sich weiterhin um ein rege genutztes Monument handelt: Jeden Vormittag um elf Uhr zelebrieren die Benediktinermönche, die die StĂ€tte verwalten, am Grab Francos (und ihm zu Ehren) eine Messe; ebenso ist der Ort eine PilgerstĂ€tte fĂŒr heutige Franco-Nostalgiker der extremen Rechten.

Trotz des öffentlichen Diskurses scheint angesichts der Kontroversen und historischen Wunden eine Aussöhnung im Zuge eines kollektiven Erinnerns in weiter Ferne. So hat es bisher keinen kreativ-kĂŒnstlerischen Ansatz gegeben, der neue Möglichkeiten und Wege zur Umwandlung und Neuinterpretation des Valle de los CaĂ­dos erkundet hat.

Hier setzt das Projekt „Deep Space“ an. Im Oktober 2018 organisierten wir (Hybrid Space Lab) in Madrid den Workshop „Deep Space: Re-signifying Valle de los CaĂ­dos“, in dem erkundet wurde, wie das franquistische Monument umgestaltet und einer Neubestimmung zugefĂŒhrt werden kann. Der internationale und interdisziplinĂ€re Workshop untersuchte das Potenzial kreativer Formate und Methoden sowie digitaler Mittel beim Umgang mit historischem Erbe. Gesucht wurden Ideen und Prozesse, die bei der Überwindung von Konflikten und der Umwandlung der symbolischen Kraft des Ortes dienlich sein können, wobei der Fokus auf kĂŒnstlerischen,  architektonischen, landschaftsgestalterischen und medialen ZugĂ€ngen lag.

Der Workshop brachte spanische und internationale Experten wie Architekten, Landschaftsgestalter, Designer, KĂŒnstler und Kuratoren mit Historikern, Kulturwissenschaftlern, Kunsthistorikern, Politikwissenschaftlern, Ethnologen, forensischen ArchĂ€ologen, Psychologen und Psychiatern zusammen.

Der Blick
von außen

Der Workshop schöpfte sein Potenzial aus der Außenperspektive, um eine neue Sicht auf eine scheinbar unauflösbare Konfliktsituation zu bringen, wie sie sich auch in anderen FĂ€llen als hilfreich erwiesen hat. So hat etwa der amerikanische Historiker Robert Paxton in seinen Untersuchungen zum Vichy-Frankreich belegt, wie die französische PĂ©tain-Regierung ihre eigene autoritĂ€re und rassistische Politik (ganz auf der ideologischen Linie Hitlers) verfolgte.

Auch Filme können Geschehnisse so filtern, dass die Betrachter Distanz gewinnen. Der mehr als neunstĂŒndige und berĂŒhmt gewordene Dokumentarfilm „Shoa“ des französischen Journalisten und Filmemachers Claude Lanzmann von 1985 markierte den Beginn der Debatte ĂŒber die an den verschiedenen SchauplĂ€tzen des Holocausts in Polen verĂŒbten Verbrechen. In Polen wurde er hingegen als Vorwurf der MittĂ€terschaft am nationalsozialistischen Völkermord verstanden. Zur niederlĂ€ndischen Kolonialgeschichte in Indonesien wies der schweizerisch-niederlĂ€ndische Historiker Remy Limpach bemerkenswert auf das fĂŒrchterliche Ausmaß und die Tragweite der niederlĂ€ndischen Kriegsverbrechen hin und unterhöhlte auf diese Weise die offiziell ĂŒberlieferte historische Darstellung des Kolonialismus in den Niederlanden.

Mit solchen wegweisenden geschichtswissenschaftlichen PrĂ€zedenzfĂ€llen ließ sich im Workshop zeigen, dass die lokale Geschichte schmerzhaft sein kann, und dass eine Vielfalt von Perspektiven – unter Beteiligung von lokalen sowie von außen kommenden Ansichten – zu einem integrativen Ergebnis beitragen kann.

Auf dem Weg
zu einem
polyphonen Monument

Als ErgĂ€nzung zur allgemeinen öffentlichen Debatte, die sich vor allem auf die Frage nach dem geeignetsten Ort fĂŒr die Überreste von Francisco Franco und JosĂ© Antonio Primo der Rivera richtet, konzentrierte sich der Workshop auf die grĂ¶ĂŸtenteils anonymen Gefallenen sowie auf die Verurteilten, die die Felsbrocken schleppen mussten.

Die Informationen, die gedruckt, online und am Ort des Mahnmals zugĂ€nglich sind, sagen nichts zum Schicksal der Kriegsgefangenen, die zur Arbeit an diesem Bauwerk gezwungen wurden, geschweige denn zu dem ihre Familien, die in nahegelegenen Baracken des Tals lebten. Auch bleibt die Tatsache unerwĂ€hnt, dass sterbliche Überreste gefallener Republikaner aus MassengrĂ€bern aus dem ganzen Land ins Tal der Gefallenen ĂŒberfĂŒhrt wurden, ohne dass ihre Familien davon wussten. Das ist deswegen ĂŒberaus problematisch, da jedwedem Prozess der Versöhnung eine vollstĂ€ndige Anerkennung der Tatsachen vorausgehen muss. Die Dokumentation und Verbreitung der Baugeschichte des Valle de los CaĂ­dos wĂŒrde es zu einem Zeugnis des Totalitarismus und zu einem fassbaren Beweis fĂŒr seinen autoritĂ€ren Charakter, also zu einem Mahnmal, machen.

Eine AnnÀherung, die die Stimmen der republikanischen Seite, der Opfer einbezieht, entspricht der gegenwÀrtigen Suche nach alternativen ErzÀhlungen und Geschichtsschreibungen. Sie folgt der allgemeinen Forderung nach einer inklusiven historischen ErzÀhlung und entspricht dem aktuellen Paradigmenwechsel in der Geschichtsschreibung, die sowohl Stimmen nationaler Befreiung im Kontext postkolonialer Prozesse sowie bereichernde Perspektiven seitens der Genderstudies und LGBTI einzubeziehen versucht.

Hybrid
Tools

Da digitale Werkzeuge eine dezentralisierte und in der Form ko-kreativer Bottom-up-Initiativen auch demokratisierte Verarbeitung von Informationen ermöglichen, erleben wir eine wahre Explosion des Interesses am Erinnern und seinen vielschichtigen Dimensionen. Die Machtbeziehungen, die dem Schreiben des kollektiven GedĂ€chtnisses innewohnen, werden schwĂ€cher und verschwommener. Der digitale Wandel macht es nun möglich, eine Vielfalt unterschiedlicher Stimmen wahrzunehmen, die sich zu alternativen ErzĂ€hlungen fĂŒgen können. Das impliziert, dass sich das Erarbeiten von Erinnerung zu einer verwobenen hybriden – physischen und digitalen – Praxis wandelt, deren Akteure sich zunehmend heterogen zusammensetzen.

Der Workshop legte einen besonderen Schwerpunkt auf die Möglichkeiten, mit digitalen Werkzeugen Informationen ĂŒber dieses Monument zu bĂŒndeln und seine Transformation zu unterstĂŒtzen, ohne dabei physische Eingriffe vorzunehmen. (1) Solche hybriden technologischen Werkzeuge, die das Physische mit dem Digitalen verbinden, können die Umwandlung eines Monuments zu unterstĂŒtzen, ohne physisch einzugreifen. Mit Virtual und Augmented Reality, ließe sich etwa das digitale Umfeld des Valle de los CaĂ­dos um die archĂ€ologischen Reste der Baracken erweitern, in denen die Zwangsarbeiter wĂ€hrend der Bauphase des Monuments wohnen mussten.

Andere Tools könnten Datenbanken und Archive enthalten, die fĂŒr die akademische oder öffentliche Nutzung miteinander vernetzt sind, es können Tonaufnahmen von wichtigen Zeitzeugen sowie interaktive Bildungsplattformen bereitgestellt werden. Es ließe sich so ein Diskurs unterstĂŒtzen, aus dem VorschlĂ€ge fĂŒr die lĂ€ngerfristige, dann physische Umwandlung des Ortes hervorgehen. InterdisziplinĂ€re und gemeinschaftliche Bottom-up-BeitrĂ€ge, die sich der dĂŒsteren Geschichte des Monuments widmen, könnten in einem Archiv Platz finden und zugĂ€nglich werden. Dies wĂŒrde den Dialog fördern und mit einem polyphonen Netz demokratisch erhobener Stimmen einen Ausgleich zum totalitĂ€ren Narrativ des Ortes bilden. Der Umgang mit dem kulturellen Erbe und die Erinnerungskonstruktion ließe sich in grĂ¶ĂŸeren ZeitrĂ€umen und weiteren rĂ€umlichen BezĂŒgen vorstellen.

Die im Workshop erarbeiteten VorschlĂ€ge werden nun weiter vertieft werden und in GesprĂ€chen mit Verantwortlichen und Wissenschaftlern geprĂŒft, ob und wie eine Umsetzung möglich ist. Das wird nicht einfach sein, da ein solches Vorgehen auch Gegner hat, die sich ĂŒber digitale Medien ebenfalls gut vernetzen und intervenieren können. Wir setzen aber darauf, dass die Strategie, das Monument zu transformieren, ohne es physisch zu verĂ€ndern, ĂŒberzeugen kann. WĂŒrden die unsichtbaren Schichten des Ortes erlebbar werden, könnte das einen Weg von der Anerkennung zur Aussöhnung ebnen. Auch in der weiteren Behandlung sollte dem Blick von außen eine maßgebliche Rolle eingerĂ€umt werden, um die
konfliktreiche historisch-politische Kontroverse zu durchbrechen und neuen Perspektiven für die Zukunft von konfliktbeladenen Monumenten zu öffnen. Vergessen wir nicht, wie sehr die Bundesrepublik Deutschland von diesen Blicken von außen profitiert hat.

(1) Unter die digitalen Technologien fallen
– Augmented Reality (die physische RealitĂ€t wird mit Hilfe von computergenerierter wahrnehmbarer Information angereichert)
– Virtual Reality (eine interaktive computergenerierte Erfahrung, die sich in einem simulierten Umfeld abspielt)
– Mixed oder Hybrid Reality (eine ZusammenfĂŒhrung realer und virtueller Welten, um neue Umgebungen und Visualisierungen zu erzeugen, in denen physische und digitale Elemente koexistieren und -agieren) sowie die
– Augmented Virtuality (eine interaktive Erfahrung eines realweltlichen Umfelds, in dem die darin befindlichen Objekte mit Hilfe von computergenerierter Wahrnehmungsinformation angereichert sind)

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