Deep Space @ archithese

Das Hybrid Space Lab hat sich mit dem „Tal der Gefallenen“ nahe Madrid beschĂ€ftigt – einem pompösen Grabmal fĂŒr den faschistischen Diktator Francisco Franco.

Sie schlagen vor, es unverĂ€ndert zu lassen, jedoch mit einem neuen kritischen Layer zu ĂŒberziehen.

Mit den Mitteln der Augmented Reality wollen sie verborgene Schichten sichtbar machen und die Geschichte auch aus der Perspektive der Opfer schreiben.

Publikation Informieren statt Glorifizieren, JĂžrg Himmelreich @ archithese, Schweiz, 28 November 2020

Informieren
statt
Glorifizieren

Über mehrere Wochen wurden in den USA und an anderen Orten weltweit im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung Monumente und Statuen zerstört, weil sie fĂŒr die Demonstrierenden Symbole von Kolonialisierung, Versklavung, UnterdrĂŒckung und Rassismus ganz allgemein darstellen. Auch in Europa ging es einigen fragwĂŒrdigen Monumenten an den Kragen. Doch gibt es bei – in der RĂŒckschau als problematisch empfundenen – DenkmĂ€lern nur die beiden Optionen von unkommentierter Akzeptanz oder Zerstörung?

Ein Berliner Think-Tank plĂ€diert fĂŒr einen Mittelweg. Das Hybrid Space Lab hat sich mit dem «Tal der Gefallenen» nahe Madrid beschĂ€ftigt – einem pompösen Grabmal fĂŒr den faschistischen Diktator Francisco Franco. Sie schlagen vor, es unverĂ€ndert zu lassen, jedoch mit einem neuen kritischen Layer zu ĂŒberziehen. Mit den Mitteln der Augmented Reality wollen sie verborgene Schichten sichtbar machen und die Geschichte auch aus der Perspektive der Opfer schreiben.

DenkmÀler in der Kritik

Die Black Lives Matter-Bewegung, ausgelöst von Polizeigewalt in den USA, kritisiert die immer noch herrschende UnterdrĂŒckung afroamerikanischer Menschen. Diese zeigt sich nicht nur in Polizeigewalt gegen Schwarze – auch in Europa – sondern wird ebenso von Monumenten reproduziert. Statuten von SklavenhĂ€ndlern, kolonialen Feldherren aber auch DenkmĂ€ler autoritĂ€rer Herrscher besetzen Teile des öffentlichen Raums und geben eine geschichtliche Stossrichtung vor, die bis heute negativ nachwirkt. Der geschichtliche Mythos, der im kolonialen Europa verbreitet wurde, wird dadurch in vielen LĂ€ndern durch unhinterfragte Monumente am Leben erhalten. Die entstandene Bewegung macht auf die MissstĂ€nde und die Macht der grösstenteils unhinterfragten Geschichtsschreibung aufmerksam.

Faschistischer Grössenwahn

Auch das grösste aktive Monument, das Tal der Gefallenen, welches in der NĂ€he von Madrid vom faschistischen Diktator Francisco Franco errichtet wurde, besteht bis heute ohne eine geschichtliche Kommentierung. Es ist den Gefallenen des spanischen BĂŒrgerkriegs gewidmet und wurde von Franco zugleich als eigene GrabstĂ€tte und Monument seines Spanien-«Kreuzzuges» errichtet. Im Rahmen des Projektes «Deep Space. Re-signifying Valle de los CaĂ­dos» hat der Berliner Think-Tank gemeinsam mit dem Design-Labor Hybrid Space Lab vor, die GedenkstĂ€tte mit digitalen Mitteln zu transformieren. Sie plĂ€dieren nicht fĂŒr ein Schliessen oder Entfernen des Monumentes, sondern dafĂŒr es zu kommentieren und zum Mahnmal umzudeuten.

Umstrittenes Denkmal

Die franquistische GedenkstĂ€tte mit ihrem 152 Meter hohen Kreuz – sichtbar bis zu einer Entfernung von 30 Kilometern – umfasst eine ganze Landschaft. Erbaut wurde das «Tal der Gefallenen» zwischen 1940 und 1959 – zum Teil von republikanischen HĂ€ftlingen. Diese mussten als Zwangsarbeiter aus dem Granitgestein eine unterirdische Basilika von ĂŒber 260 Metern LĂ€nge schlagen. Am prominentesten Punkt der Halle war – bis zu seiner Exhumierung im Oktober letzten Jahres – der Sarkophag Francos platziert, gleich neben dem Grab des FĂŒhrers der faschistischen Falange-Partei JosĂ© Antonio Primo de Rivera. Die Anlage beherbergt zudem die Gebeine von ĂŒber 33 000 Gefallenen aus beiden Lagern des Spanischen BĂŒrgerkriegs, die aus MassengrĂ€bern im ganzen Land herbeigeschafft wurden. Man erreicht die GedenkstĂ€tte ĂŒber Strassen und Wege, die in einer Art Pilgerlandschaft angelegt sind und sich in eine durchkomponierte Landschaftsgestaltung einfĂŒgen. Alles wirkt gepflegt und pompös. Doch wer genau hinschaut, kann auf dem GelĂ€nde auch die Schattenseiten der Denkmalanlage finden: Die Reste der UnterkĂŒnfte fĂŒr Kriegsgefangene.

Es ist das umstrittenste aktive Denkmal der Welt. Bis heute zelebrieren Benediktinermönche, welche die StĂ€tte verwalten, tĂ€glich eine Messe – und dies bis zu Francos Exhumierung, an seinem Grab und ihm zu Ehren. FĂŒr Franco symbolisierte das Denkmal das Zeugnis seines erfolgreichen «Kreuzzuges» gegen das republikanische Spanien. Trotzdem gibt es bis heute fĂŒr die Besucher des «Tals der Gefallenen», das eine beliebte touristische Destination ist, keinerlei Informationen zu seiner komplexen und schwierigen Geschichte.

Geschichte ist nicht objektiv

In den letzten Jahren gab es in Spanien jedoch eine intensive öffentliche Diskussion ĂŒber das Tal der Gefallenen, die zur Exhumierung Francos fĂŒhrte. Die Gebeine ruhen nun in einem herkömmlichen Friedhof im Norden Madrids. Das ist ein erster Schritt, um die fragwĂŒrdige Glorifizierung des Diktators zu beenden. Wenn die GedenkstĂ€tte aber ansonsten unangetastet bliebe, wĂ€re das Problem noch nicht gelöst. Auch ein Kenotaph wĂ€re noch immer eine PilgerstĂ€tte fĂŒr Franco-Nostalgiker*innen oder AnhĂ€nger*innen der neuen extremen Rechten. Daher ist es dringend notwendig, das Narrativ dieses Ortes zu verĂ€ndern. Wie alle Monumente wurde auch hier von Franco versucht, fĂŒr die Zukunft eine Perspektive auf die Geschichte zu festigen, welche die Strukturen reproduziert und die Erinnerung an den faschistischen Diktator lenkt. So wie Geschichtsschreibung immer die Wiedergebe einer Perspektive auf die Vergangenheit ist, schreibt das Tal der Gefallenen auch ohne Franco dessen Mythos weiter.

Hier setzte der Workshop «Deep Space. Re-signifying Valle de los CaĂ­dos» an, den das Hybrid Space Lab aus Berlin im Oktober 2018 in Madrid durchfĂŒhrte. Gesucht wurden Ideen und Prozesse, die bei der Überwindung von Konflikten und der Umwandlung der symbolischen Kraft des Ortes dienlich sein könnten. Der Fokus des Workshops lag auf kĂŒnstlerischen, architektonischen, landschaftsgestalterischen und medialen ZugĂ€ngen.

Vom Denkmal zum Mahnmal

Der Workshop konzentrierte sich auf die grösstenteils anonymen Gefallenen und Zwangsarbeiter. Die Informationen, die gedruckt, online und am Ort des Mahnmals zugĂ€nglich sind, verraten nichts ĂŒber das Schicksal der Kriegsgefangenen, die zur Arbeit an diesem Bauwerk gezwungen wurden, geschweige denn ĂŒber ihre Familien, die in nahe gelegenen Baracken auf dem GelĂ€nde der GedenkstĂ€tte lebten. Die MassengrĂ€ber sind fĂŒr Besucher keineswegs kenntlich gemacht. Auch wird nicht erwĂ€hnt, dass sterbliche Überreste gefallener Republikaner aus MassengrĂ€bern im ganzen Land ins Tal der Gefallenen ĂŒberfĂŒhrt wurden, ohne dass ihre Familien davon erfuhren. Das ist deswegen ĂŒberaus problematisch, da jedwedem Prozess der Aussöhnung eine vollstĂ€ndige Anerkennung der Tatsachen vorausgehen muss. Eine AnnĂ€herung, die die Stimmen der republikanischen Seite, der Opfer die gegen die Franco-Diktatur kĂ€mpften, einbezieht, entspricht der gegenwĂ€rtigen allgemeinen Forderung nach einer inklusiven historischen ErzĂ€hlung und dem aktuellen Paradigmenwechsel in der Geschichtsschreibung, die sowohl unterdrĂŒckte Stimmen einzubeziehen versucht.

Die Workshop-Teilnehmenden schlugen vor, den Ort mittels temporĂ€rer Kunstprojekte zu einem Forschungs- oder Friedenszentrum umzuwandeln. Es wurde eine Strategie entwickelt, das Monument vorerst – ohne es physisch anzutasten – digital zu transformieren, mit einer vor Ort zugĂ€ngliche Augmented Reality-App. Damit versucht das Projekt bereits vorab der Öffentlichkeit zugĂ€nglich zu sein und langfristig eine Umwandlung des Ortes zu entwickeln. Der Think-Tank schlĂ€gt also vor mithilfe digitaler Mittel gemeinschaftliche BeitrĂ€ge zu sammeln, die sich der dĂŒsteren Geschichte des Monuments widmen. Das wĂŒrde – so wie auch die Forderungen der Black Lives Matter-Bewegung – die DenkmĂ€ler, die dazu dienen, autoritĂ€re, koloniale und andere problematische Regime zu rechtfertigen, als solche benennen. Die Geschichte kann so mittels geĂ€nderter, kommentierter oder gestĂŒrzter Monumente gemeinschaftlich neu geschrieben werden.

Die vorgeschlagene App, in der Reales und Virtuelles verschmilzt, ermöglicht es, vor Ort die verborgenen Schichten der kontroversen Geschichte des Monuments zu erkunden: Die hinter den SeitenwÀnden der Basilika verborgenen MassengrÀber und die Reste der Baracken, in denen die Zwangsarbeiter lebten, werden dadurch «sichtbar». So kann das totalitÀre Narrativ des Denkmals durchbrochen und es zu einem vielstimmigen Mahnmal werden.

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