Wie sieht die Zukunft aus?
FĂŒr Menschen im Ausstellungswesen ist das ein ganz dingfestes Problem.
Denn das, was noch kommt, stellt uns noch keine Objekte zur VerfĂŒgung.
Interview & Vortrag Future Heritage @ Szenografie Kolloquium 2019, DASA, Dortmund, 23-24 Januar 2019
Szenografie
in der
DASA
Szenografie ist die Lehre von der Raumgestaltung, um beim Publikum eine besonders nachhaltige Wirkung zu erzielen. Unsere Kolloquien diskutieren aktuelle AnsÀtze.
Ziel der jĂ€hrlichen Szenografie Kolloquien ist es, den neuesten Entwicklungen im Bereich der Ausstellungskonzeptionen und -gestaltung nachzugehen und ihre Wirkung im gesellschaftlichen Raum zu untersuchen. Die ZugĂ€nge zu den jeweiligen Jahresthemen erfolgen durch die PrĂ€sentation praktischer Gestaltungslösungen bis hin zur Analyse von Methoden und Ausstellungskonzepten. Die interdisziplinĂ€ren BeitrĂ€ge kommen aus Wissenschaft, angewandtem Museumswesen, sowie bildenden und dramatischen KĂŒnsten.
Szenografie
Zukunft ist en vogue. 2018 lieferte sie das Motto des Wissenschaftsjahres âArbeitswelten der Zukunftâ. TĂ€glich diskutieren die Medien, inwieweit Roboter in unseren Alltag eingreifen und was die fortschreitende Digitalisierung mit uns macht. Und auch Ausstellungen kommen am Blick ins Morgen nicht vorbei.
Denn in Zeiten, in denen das Museum in der Ăffentlichkeit zunehmend als wichtigster WissenstrĂ€ger gesehen wird, steigt der Anspruch der Museumsbesucherinnen und -besucher an verlĂ€ssliche Antworten auf Fragen, die die Zukunft betreffen.
Doch Zukunft ist in hohem MaĂe theoretisch und vieles verbleibt im akademischen Zirkel. NachrĂŒckende Besuchergenerationen wollen sich â wenn ĂŒberhaupt â sinnlich weiterbilden und ihr Wissen durch persönliche Erfahrungen generieren.
âAber verrĂ€t uns das Besuchsverhalten nicht doch viel ĂŒber all die Fragen, Sorgen und Ăngsten, die aus der Gegenwart kommen? Wie gehen wir damit um? Kann das Museum, dessen traditionelle Aufgaben doch eigentlich das Sammeln und Bewahren von Exponaten ist, Themen ins Licht der Ăffentlichkeit bringen, die bisher (noch) gar nicht ausstellbar sind?
Sind Museen damit ĂŒberfordert und sollten sich damit begnĂŒgen, DenkanstöĂe zu geben und im sozialen Raum Museum Formen von sozialem Handel weiterzuentwickeln? Oder mĂŒssen andere Potenziale von Methoden wie Inszenierungen mit der Möglichkeit, âalternative Wirklichkeitenâ (Thiemeyer) auszuprobieren wieder sehr viel stĂ€rker in den Fokus genommen werden? Braucht es vielleicht ganz andere Formen von Ausstellungen?
Auch wenn der Termin noch in der Zukunft liegt: Zeit zum Diskutieren dieser Fragen bietet die DASA Arbeitswelt Ausstellung und organisiert zum 19. Mal den regen Austausch unter Kuratoren, Architekten und Designern von und fĂŒr Museen und Ausstellungen.â
DASA
Andreas Horbelt, Konzeptioner und Kreativ-Direktor, facts and fiction Köln, âDigital is the new Normal. Auch im Museum?â
Jessika Meyer, Kulturwissenschaftlerin und Innovationsmanagerin, Stuttgart, „Zukunft ausstellen. Museale Inszenierung der MobilitĂ€t von morgen“
Tristan Kobler / Dr. Bernd Holtwick, Holzer Kobler Architekturen ZĂŒrich / DASA Arbeitswelt Ausstellung „Neue Arbeitswelten – offene Zukunft ausstellenâ
Axel PfÀnder / Ingo Zirngibl, Jangled nerves, Stuttgart
Prof. Nikolaus Hafermaas, Triad Berlin, Blended Realities – Der Bildschirm stirbt.
Dr. Gabriele Zipf, Dr. RĂŒdiger Haum, Futurium Berlin, âZukĂŒnfte zeigen: Konzepte und Herausforderungenâ
JĂŒrgen Bleibler, Zeppelin Museum Friedrichshafen, Innovationen! Zukunft als Ziel. Eine Ausstellung des Zeppelin Museums im Spannungsfeld von Technikgeschichte, kommunaler Kulturpolitik, Industrie und aktuellen Museumsdiskussionen.
Karoline von dem Busche, TRIAD Berlin Projektgesellschaft mbH, âHier und jetzt – Auf den Spuren barrierefreier Wahrnehmungâ
CĂ€cilia Gernand, âZukunft jetzt! Den Raum neu denken. Ein Experiment.â
Sven Klomp, Aufmerksam@ „Zukunft Ausstellen“
Sascha Kruse, âEin Auge im Bauchnabelâ
Matthias Kutsch, VerA â Verband der Ausstellungsgestalter, âDer Bausteinkasten – Werkzeuge zu einer guten Ausstellungâ
Christian Scholze, WestfĂ€lisches Landestheater, Die Zukunft will gestaltet sein – Möglichkeiten der Darstellenden KĂŒnste, „Denn die Schauspieler sind der Spiegel und die Chronik des Zeitalters“, Shakespeare – Hamlet
Prof. Elizabeth Sikiaridi & Prof. Frans Vogelaar, Hybrid Space Lab, âFuture Heritageâ
Henrique Oliveira, Museum of tomorrow, Rio de Janeiro, âThe cosmos narrativeâ
Melanie Saverimuthu/Dr. Andreas Gundelwein, Deutsches Museum, âDie Zukunft mit allen Sinnen begreifenâ
Prof. Mitchell Joachim, Architekt, New York City, âDesign Against Extinctionâ
Marcus Starzinger, DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund, Tagungszusammenfassung
Interview
Frans Vogelaar:
Den Begriff Hybrider Raum haben wir fĂŒr das Zusammenkommen und Verschmelzen von physischem Raum und digitalen Netzwerken entwickelt â in allen MaĂstĂ€ben, von der Ausstellungsinstallation bis zur (hybriden) Stadt. Ende der 1980er Jahre haben wir angefangen mithilfe von kĂŒnstlerischen Projekten nachzudenken, wie sich unser Leben und der physische urbane Raum durch das aufkommende Internet und die digitalen Netzwerke verĂ€ndern wĂŒrden.
Elizabeth Sikiaridi:
Da damals das Internet und die digitalen Netzwerke sich noch nicht etabliert hatten, gab es einen groĂen freien Denkraum, wo wir frei spekulieren konnten: Mit unserem sehr frĂŒhen kĂŒnstlerischen Projekt âPublic Media Urban Interfacesâ haben wir Modelle entwickelt, um allen Stadtbewohnern eine bottom-up aktive Beteiligung an der medialen globalen Kultur zu ermöglichen, um das Lokale und das Urbane als Ausgangspunkt fĂŒr die mediale globale Kultur zu stĂ€rken.
Elizabeth Sikiaridi:
In der Zwischenzeit steht das Hybride fĂŒr unsere transdisziplinĂ€re Arbeitsweise, da unsere Arbeit quer ĂŒber mehrere Fachgebiete lĂ€uft. Die digitale Vernetzung â mit dem Computer als Werkzeug â ist der gemeinsamer Nenner, der groĂe VerĂ€nderungen in fast allen Arbeitsbereichen mit sich bringt, auch in der Kunst, im Design und im Ausstellungswesen. Somit erweist sich unser Fokus auf den Hybriden Raum als sehr relevant fĂŒr viele Arbeits- und Lebensbereiche.
Frans Vogelaar:
Dies ermöglicht uns, uns mit unterschiedlichen Fachrichtungen auseinanderzusetzten und Erkenntnisse und Methoden aus einem Gebiet in einem anderen zu transportieren. Dies tun wir auch in unseren Arbeiten zu RĂ€umen der Kultur. Digitalisierung, Vernetzung und der Hybride Raum als Kombination von physischem und virtuellem Raum haben groĂe Auswirkungen im Ausstellungswesen; die digital vernetzte Co-Kreation bewirkt eine Ăffnung und Neudefinition von Museen.
Frans Vogelaar:
Im Jahr 2014 sind wir eingeladen worden Konzepte fĂŒr die Weiterentwicklung und Aufwertung des Pekinger Museumsquartiers â798â zu entwickeln. Wir haben dafĂŒr kein neues Museum und kein neues Branding vorgeschlagen, sondern die prozessorientierte Strategie âINbetweenSTITUTEâ, um RĂ€ume fĂŒr eine vernetzte Co-Kreation zu entwickeln und die Netzwerke der KĂŒnstler und der Kreativen â vor Ort wie auch Online â zu stĂ€rken und sie im urbanen Gewebe von â798â zu verankern.
Elizabeth Sikiaridi:
âINbetweenSTITUTEâ schlĂ€gt eine neue offene Infrastruktur der Co-Kreation vor, die den privaten Raum des kreativen kĂŒnstlerischen Schaffens, wie Studios und Ateliers, mit dem öffentlichen Raum des Publikums, wie Showroom, Museum, Galerie, Theater oder Konzertsaal, zusammenbringt. Als hybrides Konzept denkt es die digitalen Netzwerke und urbane RĂ€ume zusammen und hybridisiert mithilfe partizipativer Prozesse die EmpfĂ€nger und Sender der Kulturproduktion.
Elizabeth Sikiaridi:
Diese transdisziplinĂ€re Arbeitsweise und âhybride Strategieâ, die uns ermöglichte Erkenntnisse aus dem Stadtmachen, wie die Partizipation, in den Bereich des Ausstellungsmachens zu transportieren, macht auch einen frischen Blick möglich, um auf unerwartete Lösungen und Ideen zu kommen und somit neue Wege zu bahnen, wie mit dem Projekt âHumboldt Dschungelâ, das eine zukunftsweisende Vision fĂŒr das sehr umstrittene Vorhaben âHumboldt Forumsâ entwickelte.
Frans Vogelaar:
Unser Entwurf bezieht sich auf den Naturforscher Alexander v. Humboldt, stĂŒlpt hĂ€ngende GĂ€rten mit Lianen ĂŒber das preuĂische Schloss und bringt einen tropischen Wald auf das Dach. Es ist mehr als eine FassadenbegrĂŒnung, lĂ€sst âGras drĂŒber wachsenâ, versöhnt mit den vielschichtigen geschichtlichen Wunden an diesem historischen Ort. Unser radikaler Vorschlag wurde, auch in der Presse, sehr gut aufgenommen: als âWeckrufâ und als die âRettung des Humboldt Forumsâ.
Steht das âHybrideâ auch fĂŒr dieses Zusammenkommen von Pflanzen und GebĂ€ude, von Natur und Kultur?
Frans Vogelaar:
Das Hybride steht fĂŒr eine ganzheitliche AnnĂ€herung auch an Raum und Architektur. Im diesem Geist haben wir auch das Projekt âHumboldt Vulkanâ entwickelt, einen Anbau an das Humboldtforum mit vertikalem Dschungel, der aus bewaldeten Terrassen, einem Dachgarten, einem Wintergarten und einem Wasserfall besteht. Als Verbindung von Architektur-Natur-Technik gibt das Projekt dem Humboldt Forum im Schloss ein in die Stadt ausstrahlendes zeitgenössisches Gesicht.
Elizabeth Sikiaridi:
Das Projekt steht fĂŒr eine hybride und innovative Architektur, die mit der Natur zusammenkommt. âHumboldt Vulkanâ ist eine gestapelte âOaseâ, die Vegetation in der gebauten Umwelt integriert. Dieses hybride GebĂ€ude weist Lösungswege fĂŒr die Integration von GrĂŒn in sehr dichten urbanen Situationen auf. In dieser Konvergenz findet eine zukunftsweisende Baukunst ihren Ausdruck â eine, die sich den Herausforderungen des AnthropozĂ€ns stellt.
Elizabeth Sikiaridi:
Bei unserem aktuellen Projekt zum Valle de los CaĂdos (Tal der Gefallenen) untersuchen wir, wie traditionelle physisch-architektonische DenkmĂ€ler mithilfe des digitalen Raumes transformiert und umgedeutet werden können. Valle de los CaĂdos, das zwischen 1940 und 1959 in der NĂ€he von Madrid errichtete Franco-Denkmal, ist das umstrittenste aktive Monument weltweit und exemplarisch fĂŒr die schwierigen Transformationsprozesse solcher kontroverser DenkmĂ€ler.
Frans Vogelaar:
Das Projekt ist sehr relevant fĂŒr die ganze Diskussion um das kulturelle Erbe. Es untersucht, wie traditionelle physische DenkmĂ€ler mithilfe digitaler vernetzter dynamischer Archive âinformiertâ und somit umgedeutet werden können. Es stellt Fragen nach dem kĂŒnftigen Kulturerbe (Future Heritage): Wie könnte dieses Erbe aussehen, sich anfĂŒhlen, wie klingen und wie könnten seine digital angereicherten Dimensionen die Konstruktion der Erinnerung beeinflussen?
Elizabeth Sikiaridi:
Wir untersuchen aktuelle Entwicklungen sehr breit, im Bereich der Kultur, Kommunikation, Produktion, Umwelt, Austausch (MĂ€rkte) und die technologische Innovationen. Wir nĂ€hern uns den technologischen Entwicklungen aus der Sicht des Gestalters, des Architekten, des Designers, des Stadtplaners, mit der Zielsetzung, Technologie so zu âbewohnenâ und somit zu transformieren, dass Technik unsere Vorstellungen, wie wir leben wollen, ermöglicht und unterstĂŒtzt.
Frans Vogelaar:
Wir leben in einer sich beschleunigenden Welt, mit einer zunehmender Geschwindigkeit der Technologieentwicklung. Technik darf nicht unser Denken und Handeln dominieren. Daher wird KreativitĂ€t immer wichtiger. Das Mischen von Feldern und Kombinieren von Expertenwissen, die BerĂŒcksichtigung von Umgebungen in ihrer Vielzahl von Dimensionen ist fĂŒr uns eine Methode, um relevante Lösungen fĂŒr immer komplexer werdende rĂ€umliche Gestaltungsaufgaben zu finden.
Frans Vogelaar:
Wir sind ein Labor fĂŒr kulturelle Innovation, ein kultureller Transformationsagent, der sich auf die auf die aktuellen miteinander verwobenen Herausforderungen unserer Umwelt richtet. Wir sehen uns als ein kultureller NĂ€hrboden fĂŒr die Entwicklung bahnbrechender Konzepte und fĂŒr die Förderung von Innovationen, die zu positiven VerĂ€nderungen in Gesellschaft und Umwelt beitragen.
Elizabeth Sikiaridi:
Innovation ist nicht Selbstzweck und keine QualitĂ€t an sich. Innovation ist notwendig, um mit einer sich immer schneller verĂ€ndernden Welt umzugehen. Innovation ist daher ein Mittel zur BewĂ€ltigung und Steuerung von Entwicklungen. Hybridisierung ist eine evolutionĂ€re Strategie, um neue Lösungen fĂŒr die sich verĂ€ndernden Umgebungen in unserer schnelllebigen hochkomplexen globalisierten Welt zu entwickeln.
Elizabeth Sikiaridi:
Eigentlich denken wir weg von Fachgebieten. Zu Beginn hatten wir ein Kommunikationsproblem, da wir nicht in den genau vordefinierten Fachgebieten der verschiedenen Disziplinen passten. So wurden wir wiederholt gefragt: Was sind Sie genau? Designer und Gestalter, Architekten, Urbanisten, Landschaftsarchitekten, Digitalexperten, Forscher ⊠MedienkĂŒnstler? Wir reagierten mit einer offensiven Strategie, indem wir unser BĂŒro als Hybridlabor definierten.
Frans Vogelaar:
Die traditionellen Disziplinen entwickeln sich, transformieren, verschmelzen. Wir sehen unser nomadische âundisziplinierteâ Labor als Katalysator fĂŒr diesen Prozess, als Entwicklungs- und Experimentierraum. Man sollte den strategischen Wert von Crossover-RĂ€umen und Hybridlabors nicht unterschĂ€tzen. Wir glauben, dass es wichtig ist, interdisziplinĂ€re Umgebungen zu stĂ€rken und kreative Begegnungsumgebungen zu unterstĂŒtzen, da sie Innovation fördern.
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