Deep Space @ TAZ

DenkmÀler sind Bedeutungsvehikel.

Wie man aushandeln kann, was ein Denkmal erzÀhlt, und wie man Kritik einbringt, damit beschÀftigen sich Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar.

Interview, Brigitte Werneburg, Journaliste @ taz, Berlin, 14 Juli 2020

DenkmÀler
sind
Bedeutungs-vehikel

taz: Frau Sikiaridi und Herr Vogelaar, Sie betreiben Hybrid Space Lab, ein Thinktank und Design Lab fĂŒr Architektur, Design und digitale Kultur. Zuletzt beschĂ€ftigten Sie sich aber mit historisch problematischen DenkmĂ€lern. Wie kam es dazu?

Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar: In den letzten Jahren haben wir mehrere Projekte zur Umdeutung und Umwandlung von belasteten und kontroversen DenkmĂ€lern, KulturstĂ€tten und Erinnerungsorten entwickelt: von den Projekten „Humboldt Dschungel“ und „Humboldt Vulkan“ zur Transformation und Aneignung des Berliner Humboldtforums bis zur Erschließung der mehrschichtigen traumatischen Dimensionen der Landschaft an der koreanischen Demilitarisierten Zone (DMZ). Im Kontext des „DMZpace“-Projekts organisieren wir auch einen Austausch zwischen koreanischen Naturschutz-, Kunst- und Kulturexpert*innen und den Initiator*innen des Projekts „EuropĂ€isches GrĂŒnes Band“, das sich durch ganz Europa entlang des gesamten ehemaligen „Eisernen Vorhangs“ durchzieht.

Mit unserer Arbeit zielen wir auf kulturelle Innovation, auf das Entwickeln von Ideen, die zu positiven VerĂ€nderungen in Gesellschaft und Umwelt beitragen. Unsere Arbeitsweise ist interdisziplinĂ€r. Dies erlaubt uns zu unerwarteten kĂŒnstlerischen Lösungen zu kommen, die es ermöglichen, RĂ€ume völlig neu zu lesen und zu erschließen. Wir haben wiederholt erfahren, dass in kontroversen Situationen KreativitĂ€t helfen kann, die Auseinandersetzung mit Konfliktlandschaften zu fördern und den Verhandlungsstau zu durchbrechen.

taz: Sie plĂ€dieren also dafĂŒr, ĂŒber Sinn und Unsinn von missliebigen DenkmĂ€lern zu verhandeln, ohne dass es zu Zerstörungen kommt. Wie kann das geschehen?

Wir erleben zurzeit weltweit eine Flut von ikonoklastischen Aktionen gegen DenkmĂ€ler und Symbole, die die kontroverse, ausbeuterische und ungelöste Geschichte verherrlichen. Die Reaktionen dazu reichen von BefĂŒrchtungen, dass die BeschĂ€digung solcher Statuen eine Bedrohung fĂŒr das kollektive GedĂ€chtnis selbst darstellt, bis zur Empörung, dass diese Handlungen zu spĂ€t kommen, wenn man sich mit dem Ausmaß des Leidens konfrontiert, das systemische UnterdrĂŒckung und Ausbeutung seit Jahrhunderten verursacht. Daher ist es dringend, integrative Community-Werkzeuge und -Methoden fĂŒr die notwendige AufklĂ€rungsarbeit zu entwickeln, um die ungelösten historischen Wunden der Vergangenheit zu verarbeiten.

taz: Warum sollen kontroverse DenkmĂ€ler eigentlich nicht abgerissen werden? Es werden die DenkmĂ€ler doch, seit sie errichtet werden, auch gestĂŒrzt.

DenkmĂ€ler sind ein greifbares Zeugnis von Erinnerung und Vergangenheit in ihrer kollektiven Dimension, auch wenn diese Vergangenheit belastet und umstritten ist. DenkmĂ€ler sind somit Bedeutungsvehikel, die die öffentliche Aushandlung von Narrativen beeinflussen. Es gibt viele AnsĂ€tze, ein Denkmal in ein Mahnmal umzuwandeln, indem man es in einem neuen Kontext setzt, etwa mithilfe von temporĂ€ren Interventionen, die die Prozesse der AufklĂ€rung und Verarbeitung begleiten und unterstĂŒtzen, und mithilfe von GegendenkmĂ€lern.

Wir arbeiten daher an kĂŒnstlerischen und innovativ-partizipativen Methoden, die eine kollektive Erinnerungskonstruktion und -verarbeitung unterstĂŒtzen, ohne die betreffenden DenkmĂ€ler zu zerstören. Mit solchen Werkzeuge ist es möglich, sich mit DenkmĂ€lern und KulturstĂ€tten unterschiedlicher GrĂ¶ĂŸenordnung und Art auseinanderzusetzen, auch im Maßstab der Stadt oder der Landschaft.

taz: Sie haben fĂŒr Rotterdam und Amsterdam ein Projekt entwickelt, wie die Erinnerung an die koloniale Vergangenheit heute aussehen sollte. Worum ging es dabei?

Das „Voiced Space“-Projekt untersucht die postkolonialen Spuren von Rotterdam und Amsterdam und wie diese in den heutigen alltĂ€glichen Gebrauch der Stadt integriert wurden. Dabei wird die Stadtlandschaft im Lichte ihrer historischen Beziehungen zu frĂŒheren Kolonien analysiert: Welche Verbindungen und Stimmen werden beim Lesen der Stadt priorisiert und welche ausgeschlossen? In Architektur-, StĂ€dtebau- und Landschaftsstudien ist ein solcher Diskurs nur sehr begrenzt vertreten.

Die Amsterdamer GrachtenhĂ€user und KanĂ€le werden selten als Ergebnis und als notwendige Infrastruktur fĂŒr das Aufrechterhalten von kolonialen Beziehungen betrachtet. In der Architekturdiskussion fehlt bei der Auseinandersetzung mit den westlichen Metropolen meistens die globalere Perspektive, also das Lesen der Stadtlandschaft im Kontext von internationalen Interaktionen, die (post-)koloniale Beziehungen beinhalten.

Ein anderes Beispiel ist die Ikone des niederlĂ€ndischen Modernismus und Unesco-Weltkulturerbe, die Rotterdamer Van-Nelle-Fabrik zur Verarbeitung der traditionellen Kolonialwaren Kaffee, Tee und Tabak. Mit der Kolonialware Tabak als „Filter“ kann das koloniale und postkoloniale Erbe der Stadt untersucht werden – und auch inwieweit dieses die gegenwĂ€rtigen urbanen Segregationsbedingungen noch prĂ€gt.

taz: Was verbuchen Sie als Erfolg ihres Workshops in Madrid, den Sie zum sogenannten „Tal der Gefallenen“, einem nationalkatholischen Weiheort fĂŒr den Caudillo Franco, gemacht haben?

„Valle de los CaĂ­dos“, die große franquistische GedenkstĂ€tte in der NĂ€he von Madrid, umfasst eine ganze Landschaft. Die megalomane Anlage ist Massengrab und beherbergt die sterblichen Überreste von ĂŒber 33.000 Gefallenen beider verfeindeter Lager des spanischen Konflikts, die aus MassengrĂ€bern ĂŒberall im Land herbeigeschafft wurden. Erbaut wurde das „Tal der Gefallenen“ zum Teil in Zwangsarbeit durch republikanische HĂ€ftlinge, die aus dem Berggranit eine ĂŒber 260 Meter lange unterirdische Basilika schlagen mussten.

Es ist das umstrittenste aktive Denkmal der Welt, da die Benediktinermönche tĂ€glich die Messe – und bis zu Francos Exhumierung letzten Oktober, an seinem Grab und ihm zu Ehren – zelebrieren. Bis heute gibt es fĂŒr die Besucher des „Tals der Gefallenen“, das weiterhin als touristische Destination fungiert, keinerlei Informationen zu seiner komplexen, schwierigen Geschichte.

Im Jahr 2018 haben wir einen ersten interdisziplinĂ€ren Workshop mit internationalen und spanischen Teil­­nehme­r*innen veranstaltet, mit KĂŒnst­­le­r*in­nen, Archi­tek­t*in­nen, Land­­schafts­ar­chi­tek­t*in­nen, Kura­to­r*in­nen, Ethno­lo­g*in­nen, (forensisch) Ar­chĂ€o­lo­g*in­nen, Historiker*innen, Po­li­to­log*innen, Psycho­ana­ly­ti­ke­r*in­nen, Fachleuten fĂŒr digitale Technologien und anderen Ex­per­t*in­nen.

Der Workshop schöpfte sein Potenzial aus der Außenperspektive, um eine neue Sicht auf eine scheinbar unauflösbare Konfliktsituation zu bringen, wie sie sich auch in anderen historischen FĂ€llen als hilfreich erwiesen hat. Wir haben dabei die umgebende Landschaft analysiert und VorschlĂ€ge fĂŒr Wege und Standpunkte, die den Ort in seinem ganzheitlichen historischen Kontext erschließen, entwickelt. Gleichzeitig wurden auch Konzepte fĂŒr die Umwandlung der Anlage, zum Teil mithilfe temporĂ€rer Kunstprojekte, zum Forschungszentrum und zum globalen Friedenszentrum, formuliert.

taz: Glauben Sie, dass das „Tal der Gefallenen“ jemals ein Erinnerungsort im Sinne Ihres Konzepts wird?

Das Projekt ist sowohl in Spanien als auch international sehr gut aufgenommen worden, besonders die Strategie, das Monument zu transformieren, ohne es erst einmal physisch zu verĂ€ndern, ĂŒberzeugte. Zurzeit entwickeln wir einen Prototyp fĂŒr eine „Augmented Reality“-Anwendung, in der reale und virtuelle Welten verschmelzen, mit der Besucher die verborgenen Schichten der komplexen, kontroversen Geschichte des Monuments vor Ort erkunden können.

Dies wĂŒrde helfen, das zu zeigen, was Franco hier verbergen wollte, um das totalitĂ€re Narrativ des Denkmals zu durchbrechen und es zu einem polyphonen Mahnmal umzuwandeln. WĂŒrden die unsichtbaren Schichten des Ortes erlebbar werden, könnte das einen Weg von der Anerkennung zur Aussöhnung ebnen.

Taz

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