Kurze Anmerkungen zum Dimensionsverlust der Architektur.
In der Sisyphusarbeit des alltäglichen Überlebenskampfes der Büros, in dem Praktikantendasein des Nachwuchses wird heute die Krise der Architektur direkt erlebbar.
Auch in dem Architekturdiskurs macht sich eine Ratlosigkeit bemerkbar.
Veröffentlichung Landscape BOTOX @ Stadt+Grün, Deutschland, 1 September 2006
Architektur
in Zeit
und Raum
Auch in dem Architekturdiskurs macht sich eine Ratlosigkeit bemerkbar. Auswege aus der Krise werden durch Eskapaden ins Atmosphärische[1] oder durch Anleihen aus Nachbardiskursen gesucht, wie etwa dem der Kommunikation für den „Architektur-Pop“[2] oder dem urbanistischen bei der Schrumpfungsdiskussion[3].
Ihrem Bedeutungsverlust begegnet die Architektur mit Grenzüberschreitungen – die sich eventuell weit mehr als kleine Ausflüge erweisen werden – in Richtung einer hybriden Disziplin, die sowohl mediale Netzwerke wie auch Freiräume integral berücksichtigt[4]. Diese Erweiterung der Aufgabengebiete, wo der Architekt als eine Art “Art Director“ fungieren soll, entspricht seinem Selbstverständnis als Generalist und seiner Auffassung, Architektur sei die Mutter aller Künste – Landschaftsarchitekten aufgepasst!
Das Unbehagen in der Architektur ist direkter Ausdruck des Bedeutungsverlustes der physischen Lokalität, der mit der beschleunigten Medialisierung und Globalisierung einhergeht. Trotz oder wegen dieser Krisensituation, stellt sich Architektur an vielen Fronten den aktuellen Entwicklungen und Aufgaben.
Zeitgenössische Architektur wird mithilfe eines Kompasses, der sich die aktuellen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen von Beschleunigung, Globalisierung und Virtualität als Koordinaten bedient, nachvollziehbar. Sowohl die neuesten Klone von protzigen Villen der vorletzten Jahrhundertwende oder zweifelhaftester Architektur der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts beziehen dabei Position – positiv formuliert, die der Verweigerung an einer beschleunigten Welt.
Als Gegenpol werden Bewegungsräume als die adäquate Antwort für alle Bauaufgaben, vom Wohnhaus bis zum Museum, entwickelt. Für diese „fließende“ Architektur stehen Formgenerierungsprogramme mit deren Buttons Pate. Die so genannte „blob-architecture“, worunter auch sehr interessante Formexperimente stattgefunden haben, ist Teil eines Marketings gewesen, die die neuen Techniken erst bildfähig machen sollten, um somit die Angst vor der neuen Technik zu nehmen. Da es aber beim Bauprozess immer noch hapert – fließende Formen, da nicht leicht baubar, werden in Polygone aufgelöst und verlieren dann dabei an Eleganz – bleiben die Entwürfe oft im Cyberspace.
Der „screen“ wird zum Thema. Die Fassade, für sich gestaltet, als eine Art von Bildschirm, wird um die Kiste gestülpt. Der Raum der Kiste ist neutral austauschbar; einzig ausdrucksfähig ist die dünne Schicht als Schnittstelle zum Kommunikationsraum Stadt. Diese Abwendung vom „form follows function“ Imperativ der Moderne, wo die innere Struktur eines Gebäudes seinen urbanen Ausdruck prägen sollte, ist längst überfällig. Die Notwendigkeit der Wärmedämmung, die jedem Bauvolumen eine zweite Haut aufzwingt und somit die Ehrlichkeitsmaxime“ der Moderne unausweichlich in eine Maskerade wendet, findet in den neuen Kleidern einer teilweise bunten, teilweise seriellen, teilweise dekorativen, und sogar manchmal schönen Architektur von Oberflächen ihren Aus-druck.
Die Austauschbarkeit der globalisierten Stadt – Globalisierung wird durch die wachsende Medialisierung noch weiter beschleunigt – findet in einer „generischen“ Architektur, die überall im urbanisierten Globus stehen könnte, ihre Entsprechung. Globalisiert ist die zeitgenössische Kondition der gebauten Umwelt, globalisiert ist auch deren Planung und Entstehung. Das Entwerfen der teilweise sehr additiven architektonischen Bauelemente wird – mit Unterstützung von Detail-Datenbanken – leicht digital reproduzierbar. Es ist nicht nur der in Europa berüchtigte polnische Bauspezialist und Subunternehmer. Werkpläne werden in Tschechien gezeichnet, Modelle in China gebaut und bald wird die ganze Produktionskette nach Indien geoutsourced.
In diesem Raum, der von technologischen Entwicklungen was Bauprozesse und Materialien betrifft noch weiter dynamisiert wird, entwickelt sich Architektur nicht in dem einen Stil, sondern in eine Anzahl sich widersprechenden formalen Ausdrücken, ein zeitgenössischer Stilmix als Abbild einer fragmentierten zeitgenössischen Gesellschaft und Welt.
Zeit-
und
raumlose
Landschafts-
architektur?
In der Polyphonie der Landschaftsarchitektur-Produktion sind einige Tendenzen erkennbar. Die Verfremdung und Reduktion auf schwer in wachsenden Stoff materialisierbaren abstrakten Formen sind heute gängige Praktiken dieser Disziplin. Das Potenzial des lebendigen Materials der Pflanze mit seiner Weichheit, Textur, Transparenz und zyklischer Dynamik wird nicht eingesetzt. Die zeitbasierte – da mit lebendem Material arbeitende – Raumkunst der Landschaftsarchitektur läuft dabei Gefahr sich ihrer Raum- und Zeitdimensionen zu erledigen.
Oft sind in semantisch stark beladenen Entwürfen postmoderne Tendenzen sichtbar. Manchmal in deren intellektuelleren Ausformung, so, dass bei Betrachtung aktueller Arbeiten, man an die „Neue Landschaftsarchitektur“, wie vor fast 15 Jahren vom Architekten und Künstler Hans-Dieter Schaal visionär gezeichnet und kommentiert worden ist[5], denken muss. Heute gebaut wirken aber diese Skizzen schemenhaft und lassen Zeit- und Raumdimension vermissen.
Raumverlust ist durch die aktuellen Werkzeuge vorprogrammiert. Bildbearbeitungsprogramme fördern die Flachware, also das zweidimensionale Entwerfen. Landschaften werden in der Google Earth Perspektive und nicht aus den Blickwinkeln des Wanderers in der Zeit entwickelt. Entwurfsrelevante Entscheidungen werden dem Planplakat entsprechend, also plakativ, getroffen.
Zeitgenössische Landschaftsarchitekten setzen oft das Mittel der Verfremdung ein. Vielleicht um ihr Bewusstsein der Künstlichkeit der „Landschaft“ zum Nachdruck zu bringen. Dieses Verfremden wird aber selten räumlich, also bezüglich der Nutzung und der Aneignung durch die Nutzer eingesetzt. Solche Praktiken sind weiterhin der freien Kunst, die die existenzielle Ebene ansprechen soll, überlassen. Landschaftsarchitektur wird keine „Gebrauchskunst“ – und Verfremden hier heißt oft nur die Pflanzen im fremden Blau leuchten zu lassen.
Abstrakt sind auch die minimalistischen Entwürfe. Dieser Minimalismus kann als eine deutliche Aussage verstanden werden und als Versuch der Kompensation zur allgemeinen Überreizung unserer Alltagswelt gelten. Trotzdem infiltriert Medialisierung mit ihren flirrend programmierbaren Fassaden und Lichtinstallationen die Architektur der Landschaft, bestärkt dabei die lang bewährte Arbeit im Schatten und Licht und erweitert sie mit den neuen technischen medialen Möglichkeiten des so genannten Lichtdesigns. Da der Umgang mit dem Bestand – ob baulich oder grün – als Aufgabe immer wichtiger wird, wird dieses „ins neue Licht setzen“ eine immer gängigere Praktik. Die Landschaftsarchitektur gewinnt an Eventcharakter – und verliert an Substanz.
Im Umgang mit dem Bestand, in den Nöten und Notwendigkeiten der Stadtschrumpfung, gewinnt Landschaftsarchitektur im Dreispann Architektur-Landschaftsarchitektur-Planung an Bedeutung. Im Rahmen des Stadtumbaus sind nicht die Bauparzellen strategisch wichtig, sondern die Stadtfelder – zum Teil neu durch den Abriss von Bausubstanz entstehend.
Vor dem Hintergrund der Finanznot der Kommunen und der damit einhergehenden Probleme bei der Finanzierung der Pflege und Unterhaltungskosten durch die öffentliche Hand werden seitens der Landschaftsarchitektur, sowie des aufkommenden Arbeitsbereichs der landschaftsbasierten Stadtentwicklung oder „Landscape Urbanism“ kostenreduzierte Ansätze für diese neu entstehenden urbanen Grünräume gesucht. Sukzessionsgrün als „urbane Wildnis“ erscheint dabei als eine (Zwischen-)Lösung, für die neu entstehenden Brachen in der Stadt. Zur Entwicklung von urbanen Freiräumen, die das städtebauliche und sozialräumliche Kontinuum aufrecht erhalten, werden auch Lösungen gesucht, die zwar kostengünstig, aber auch „gepflegter“ sind, zum Beispiel, als gestaltete land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen der „urbanen Landwirtschaft“.
Beide Ansätze zum Umgang mit städtischen Brachen, die „urbane Wildnis“ und die „urbane Landwirtschaft“, sind kreislauf- und prozessorientiert. Nicht nur städtische Freiflächen werden entworfen, sondern der ganze Lebenszyklus der Anlagen ist Gegenstand des Entwurfs. Es sind (Zwischen-)Lösungen, die Phasen der urbanen Sukzessionszyklen im dynamischen immerwährenden Prozess der Transformation der Stadtlandschaft markieren.
Eigentlich liegt diese Prozessorientiertheit der Landschaftsarchitektur nahe, da sie mit wachsender und vergehender lebender Materie zu tun hat. In dieser Prozessorientiertheit liegt auch ihre Chance, an einem anderen Entwurf von Welt mitzuarbeiten, der das Zyklische des Lebens mit einbezieht. In der mit landschaftlichem Material arbeitenden Kunst, wie zum Beispiel der Plant Art, oder in den aufkommenden künstlerischen Praktiken, die biologische Prozesse einsetzen, ist Verwelken, Zerfall und sogar Verwesung integraler Teil des künstlerischen Projekts. Auch die Architektur der Landschaft könnte ähnlich ungezwungener und somit konzeptionell mit ihrem eigentlichen lebenden Material arbeiten.
Sicherlich ist unser wirtschaftliches System dem Diktat der steigenden Wertschöpfung verpflichtet und unsere Wegwerfgesellschaft einem Neuheitswahn unterworfen. Jugendwahn wird durch alle Medien propagiert und diktiert unser Selbstbild und somit Selbstbewusstsein, dem natürlichen Verlauf des Lebens in manchmal tragikomische Weise trotzend. Trotzdem besteht in unserem alten Europa, dem überalternden Kontinent, die Chance für eine Umwelt, die ihren Charme dadurch steigert, dass sie die Zeichen der Zeit nicht negiert – als Gegenspiel zu einer faltenlosen Landschaftsarchitektur bottox.
Notizen
[1] Siehe, zum Beispiel, arch+ 178, Juli 2006, „Die Produktion von Präsenz“.
[2] Siehe, zum Beispiel, arch+ 171, Juni 2004, „Architekten, ihr Anfänger! Pop, Ökonomie, Aufmerksamkeit“.
[3] Siehe, zum Beispiel, www.shrinkingcities.com
[4] Siehe, zum Beispiel, Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar „Architektur der Sukzession“ in db (Deutsche Bauzeitung), Januar 2005.
[5] Schaal, Hans Dieter, „Neue Landschaftsarchitektur = New landscape architecture“, Berlin: Ernst & Sohn, 1994.
[6] Der Künstler und Dozent Dirk Holzberg lebt und arbeitet in Berlin und setzt sich mit der Betrachtungs- und Konstruktionsweise von Naturraum in den Zeiten der Biotechnologie ausseinander. Zahlreiche Ausstellungen und Festivals im In- und Ausland. Siehe: www.dirkholzberg.de
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