Future Heritage @ Points of View

Wie wäre es, wenn neben dem Neubau des Berliner Stadtschlosses ein Vulkan ausbrechen würde?

Wenn dort riesige Bäume wachsen, exotische Pflanzen wuchern und ein Wasserfall herabstürzen würden?

Veröffentlichung Future Heritage @ Points of View, DASA Museum, Dortmund, 1 March 2020

Humboldt
Forum

In einer Replik des Berliner Schlosses mitten auf der Museumsinsel befindet sich das neu errichtete Humboldt Forum, das ehrgeizigste Kulturprojekt der Bundesrepublik Deutschland. Während die Schlossattrappe Assoziationen an die imperiale deutsche und preußische Vergangenheit hervorruft, soll das Humboldt Forum, das unter anderem die Berliner ethnografischen Sammlungen beherbergt, ein Ort für den „Dialog der Kulturen“ werden. Im Humboldt Forum und in seinem Bau vermengt sich somit das Wiederaufleben historischer nationaler Symbole mit zeitgenössischen Ideen zur transnationalen kulturellen Entwicklung.

Der Ort, an dem die von Robotern gefrästen Barockfassaden hochgezogen wurden, hat historische und symbolische Bedeutung: Hier stand das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte Berliner Stadtschloss, das in DDR-Zeiten gesprengt wurde. An seiner Stelle wurde als Repräsentationsgebäude der DDR der Palast der Republik errichtet, der nach der Wiedervereinigung abgerissen wurde. Dies alles hat zu einer sehr kontroversen öffentlichen Debatte geführt, die sich um die internationale Rolle Berlins, um nationale und historische Symbole und um den Umgang mit der eigenen (Kolonial-)Geschichte dreht.

Hinzu kommt, dass das Humboldt Forum heute als steinernes Monument ohne jegliches Grün genau an dem Ort steht, wo die höchsten Temperaturen in Berlin gemessen werden. Auf solchen sogenannten städtischen Hitzeinseln kann Bepflanzung helfen, an heißen Tagen eine Überhitzung zu vermeiden. Das fehlende Grün am Bau des Humboldt Forums – und somit die fehlende Sensibilisierung für klimatische Faktoren wie auch für Aspekte der Biodiversität – überrascht umso mehr, da der Namensgeber des Forums, Alexander von Humboldt, ein Nachhaltigkeitspionier war, der frühe Nachhaltigkeitskonzepte und die Idee, dass die ganze Natur als Netzwerk verbunden ist, entwickelte.

Im Jahr 2015, als die Finanzierung der steinernen Barockfassade des Humboldt Forums noch nicht gesichert war, entwickelte Hybrid Space Lab den radikale Vorschlag, diese umstrittene rekonstruierte Schlossfassade in einen Dschungel zu verwandeln, in einen „Humboldt Dschungel“!

Der Dschungelvorschlag stülpt hängende Gärten mit Lianen über das preußische Schloss und bringt einen tropischen Wald auf das Dach. Diese radikale Begrünung nimmt somit – wenig subtil – auf den Naturforscher Alexander von Humboldt Bezug. Der „Humboldt Dschungel“ ist aber mehr als eine Fassadenbegrünung; er lässt „Gras drüber wachsen“ und versöhnt mit den vielschichtigen geschichtlichen Wunden an diesem historischen Ort.

Dieser polemische Vorschlag mit dem eindrücklichen Bild war ein konzeptueller Beitrag zu der Debatte um das Humboldt Forum mit der Zielsetzung, diskursive und positive Visionen für das Forum und die Stadt zu eröffnen. Der „Humboldt Dschungel“ wurde von den deutschen Medien mit Begeisterung aufgenommen: Die „taz“ nannte den Entwurf einen „Weckruf“ (08.07.2015), und „DIE ZEIT“ fragte: „Ist das die Rettung?“ und „Ist der Humboldt Dschungel also das bessere Humboldt Forum?“ (18.02.2016). Und die überregionale Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ forderte:„Macht Platz für den Dschungel“ (01.09.2017).

Auch wenn in der Zwischenzeit für die Finanzierung der Barockfassade der Steuerzahler eingesprungen ist, bleibt der provokative Dschungelvorschlag weiterhin aktuell, da noch immer intensive Debatten über das Humboldt Forum geführt werden, die sich immer wieder ernsthaft festzubeißen drohen. Infolge dieser Debatten entstand ein Jahr später, 2016, der „Humboldt Vulkan“, ein frei stehender, vor dem Humboldt Forum platzierter Gewächshauspavillon, der den vertikalen Dschungel beherbergt.

Der „Humboldt Vulkan“, ein Schlossanbau in Wintergartenform mit gestapeltem Dschungel, bietet einen öffentlichen Zugang zum Dach des Humboldt Forums. Wer zum Dachgarten hoch flaniert, hat vielfältige Ausblicke auf die Stadt, bis er das Restaurant, das sich mitten auf der Dachfläche mit beschränkter Aussicht auf die Stadt befindet, erreicht hat.

Im „Humboldt Vulkan“ wachsen Bäume aus aller Welt; entlang des öffentlichen Parcours trifft man auf weitere kulinarische Angebote. Die Verbindung von Architektur, Natur und Technik sowie der Verweis auf den Namensgeber, den Forschungsreisenden Alexander von Humboldt, verleihen dem Humboldt Forum im Schloss ein stark in die Stadt ausstrahlendes zeitgenössisches Gesicht.

Alexander von Humboldt war der Erste, der Vegetationsstufen beobachtete und die Ausprägung von Flora und Fauna in Abhängigkeit von ihrer Höhenlage über dem Meeresspiegel beschrieb. Er stellte fest, dass die ganze Welt in den Höhenstufen eines einzigen Ortes zu finden ist. Der Parcours des „Humboldt Vulkans“ nimmt diesen Gedanken auf und führt durch verschiedene „Höhenstufen“ der botanischen, kulinarischen und kulturellen Geografie: die ganze Welt an einem Ort!

Platziert direkt auf der Achse „Unter den Linden“, ist der „Humboldt Vulkan“ aber viel mehr als nur eine Vision, die dem Humboldt Forum im Schloss ein extrovertiertes innovatives Aussehen verleiht. Das Projekt basiert auf einer genauen Analyse und Auseinandersetzung mit der komplexen Geschichte des Standortes: Historisch war das Schlossareal – mit den dem Schlossbau vorgelagerten Bürgerhäusern, der schrägen Annäherung von „Unter den Linden“, der verschobenen Achse des Lustgartens – von mehreren sich überlagernden städtischen Systemen geprägt.

Die polyzentrische Stadt Berlin sollte sich zu diesen strukturellen Charakteristika bekennen. Ähnlich wie Deutschland dazu steht, dass es durch seine Geschichte eine relativ dezentrale politische Struktur entwickelt hat. Den vielfältigen politischen Kräften entsprechen die vielfältigen räumlichen Beziehungen im symbolisch stark besetzten Zentrum der Hauptstadt.

Diese komplexen räumlichen Beziehungen im Schlossumfeld werden im Projekt „Humboldt Vulkan“ aufgenommen. In der Berücksichtigung der Komplexität dieses zentralen und symbolischen Standortes steckt eine große Chance für eine zeitgenössische Weiterentwicklung des Humboldt Forums und seines Umfeldes. Das Forum wird somit kein alles beherrschender Solitär, sondern räumlich und sozial in das gemeinschaftliche Gewebe der Stadt integriert.

In diesem zentralen, dicht bebauten Teil der Stadt Berlin mit besonders hohen Sommertemperaturen lässt die zu erwartende extrem intensive Nutzung des öffentlichen Raumes durch Berliner und Touristen wenig Platz für konventionelle Grünflächen. Hier kann die Vegetation des „Humboldt Vulkans“ helfen, die Temperaturen zu regulieren und die Luftqualität zu verbessern. Als gestapelte Oase, die Vegetation in der gebauten Umwelt einbindet, weist „Humboldt Vulkan“ Lösungswege für die Integration von Grün in sehr dichten urbanen Situationen auf.

Dies wird umso dringlicher, wenn beide Megamuseen, das Humboldt Forum und das Pergamon Museum, vollständig eröffnet sind und Besucher aus aller Welt anziehen werden. Für diesen touristischen Ansturm sollte sich die Stadt Berlin wappnen. Dazu gehören sicherlich Konzepte zur Lenkung der touristischen Ströme im gesamtstädtischen Maßstab, an denen die Stadt Berlin arbeitet. Dazu gehören aber auch die Lenkung und der Empfang der Besucher vor Ort. Die gestapelte Oase nimmt die Besucher auf und leitet sie mithilfe des Parcours auf natürlichen Wegen weiter.

Der „Humboldt Vulkan“ verleiht dem Humboldt Forum ein innovativeres, umweltfreundlicheres Erscheinungsbild. Das Projekt entwickelt auch eine neue urbane Typologie zur Klimaanpassung und ökologischen Aufwertung der Stadt, eine neue „hybride“ Bautypologie, die Natur und Architektur verschmilzt. In dieser Konvergenz findet eine zukunftsweisende Baukunst ihren Ausdruck, eine Baukunst, die sich den Herausforderungen des Anthropozäns – des geologische Zeitalter, das durch die menschlichen Aktivitäten auf unserem Planeten geprägt ist – stellt.

„Humboldt Vulkan“ ist eine konkrete Utopie, die als Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung im Beuys’schen Sinne auf der Vorstellung einer Gestaltung und Nutzung des städtischen Raumes basiert, die nicht verordnet wird, sondern organisch wächst. Er ist ein Wahrnehmungstransformator, der Vorstellungsräume und Möglichkeitswelten eröffnet. Gleichzeitig ist er ein zu realisierendes Projekt. Mit ganz langem Haltbarkeitsdatum könnte der „Humboldt Vulkan“ im Jahr 2030 als Lösung für den Platzmangel im Humboldt Forum realisiert werden.

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