Der Plan der Architekten (Hybrid Space Lab) steht im Einklang mit der zweifellos wichtigsten Frage der zeitgenössischen kulturellen Identität: dem Verhältnis zwischen Tradition und Innovation.
Ihre Idee einer wachsenden grünen Welt rund um das Schloss ist die Darstellung der Idee der Tradition als dynamisches Phänomen.
Veröffentlichung Ein Palast für die Republik, Merlijn Schoonenboom @ Argobooks, Deustchland, 21 November 2020
Der
Bunte
Palast
In seinem Atelier an der Spree breitet Frans Vogelaar einen Computerausdruck auf dem Tisch aus. Er zeigt das Berliner Schloss – nur ein bisschen anders. Auf dem Ausdruck ist das Schloss von Pflanzen und Palmen überwuchert. Auch farbenprächtige exotische Tiere sind zu sehen. Oben auf der Kuppel steht statt des Kreuzes ein Gorilla.
Vogelaar, ursprünglich niederländischer Architekt und früher Mitarbeiter im Büro von Rem Koolhaas, arbeitet schon seit Jahren in Berlin. Mit seiner Frau Elizabeth Sikiaridi, einer Landschaftsarchitektin mit britisch-griechischen Wurzeln, bildet er den Thinktank Hybrid Space Lab, der mit experimentellen Ideen die urbane Gestaltung und den Städtebau „beeinflussen“ will.
Unser Treffen ist Zufall. In dem Monat, als ich meine Recherchen zum Berliner Schloss begonnen habe, schickt Vogelaar mir eine E-Mail mit seinen Plänen. Die Idee für den Humboldt Jungle, wie einer ihrer Entwürfe für das Schloss heißt, sei aus Unmut über die architektonische Umsetzung des Humboldt Forums entstanden, erzählt Vogelaar. Ein Grünen-Politiker habe sie gebeten, etwas mit „Begrünung“ zu entwickeln, und so kamen sie auf die wilde Idee mit dem Dschungel. Und ein paar Jahre später entstand eine zweite, erweiterte Variante: der Humboldt Volcano.
Leicht amüsiert betrachtet Vogelaar seinen Entwurf, eine unbändige Explosion aus Fröhlichkeit, Farben und Formen. Die Idee dahinter aber ist ernster Natur: Humboldt Volcano soll nicht nur eine experimentelle Variante des Barockschlosses sein, das „buchstäblich Gras über die historischen Wunden des Ortes wachsen lässt“, sondern auch ein Symbol, das laut Hybrid Space Lab besser zur Identität des Landes im 21. Jahrhunderts passt.
Das Problem sei fundamental, sagen Vogelaar und Sikiaridi, schließlich assoziiere man die Fassade des alten Kaiserpalasts heute nicht gerade mit einer „bunten“ Gesellschaft, und das sollte das Humboldt Forum doch eigentlich ausstrahlen. Ihre Ideen gründen sich auch auf „deutsche Traditionen“, aber nicht die der preußischen Machthaber. Gerade das Anarchistische, Ökologische und Abenteuerliche der deutschen Kultur wollen sie herausstellen: den Entdeckerdrang und die ökologischen Ideen Alexander von Humboldts, Bruno Tauts Glashaus-Entwürfe und „andere Traditionen, die dem Schloss und seinen Machtstrukturen gegenüberstehen“.
Die Idee vom Humboldt Jungle hat im Laufe der Jahre immer größeren Anklang in der Öffentlichkeit gefunden. Im Berliner Tagesspiegel wurde das Konzept groß abgedruckt, die Zeit titelte: „Ist das die Rettung?“ Auch Politiker kamen zu ihnen ins Büro.
Laut Vogelaar ist es auffällig, dass das Interesse umso mehr zugenommen hat, je mehr vom Schloss tatsächlich sichtbar wurde.
Die Chance, dass ihre Pläne verwirklicht werden, sei gleich null, sagt Vogelaar grinsend. Wilhelm von Boddien, der Initiator des Wiederaufbaus, soll bei einem Treffen ausgerufen haben: „Die Idee ist so gut, dass man gleich dagegen sein muss, sonst wollen die Berliner es wirklich so haben.“ Der Entwurf müsse jedoch nicht sofort realisiert werden, das gehe auch später noch, wenn das Schloss bereits stehe, so Vogelaar. Für etwa vierzig Millionen Euro extra könne ihr Plan umgesetzt werden und mit den sich ändernden Zeiten mitwachsen.
Der Plan der Architekten passt zweifellos zu der wichtigsten Frage für die kulturelle Identität heutzutage: Was ist das richtige Verhältnis zwischen Tradition und Erneuerung? Ihre Idee der mit wachsenden grünen Welt am Schloss ist die Umsetzung der Idee von Tradition als ein dynamisches Phänomen. Nur durch Anpassung an neue Umstände können Traditionen überleben, schreiben Herfried und Marina Münkler in ihrem Buch Die neuen Deutschen (2016). Denn „Identitäten zeichnen sich dadurch aus, dass sie permanent erweitert werden, dass sie sich transformieren“.
Das Paradox: Eine Kultur ist nur stark, wenn sie flexibel genug ist, andere Einflüsse aufzunehmen. Aber dann beginnt das Problem natürlich erst. Denn was ist das beste Gleichgewicht zwischen Tradition und Erneuerung? Mit anderen Worten: Wie kann die Gesellschaft sich für das Fremde öffnen, ohne das Eigene zu verlieren?
Merlijn Schoonenboom
Der Plan der Architekten passt zweifellos zu der wichtigsten Frage für die kulturelle Identität heutzutage: Was ist das richtige Verhältnis zwischen Tradition und Erneuerung? Ihre Idee der mit wachsenden grünen Welt am Schloss ist die Umsetzung der Idee von Tradition als ein dynamisches Phänomen.
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